Verliebt
Oberbürgermeister Uwe Schneidewind machte sich schon mal locker und duzte den künftigen Chef seiner wichtigsten Kulturmarke: Dass «Boris», Nachname: Charmatz, ab der kommenden Saison dem Tanztheater Wuppertal Pina Bausch (TTW) den Sprung in die Zukunft ermöglichen soll, verkündete der Politiker mit ebenso viel Stolz wie Erleichterung auf der Pressekonferenz Ende Oktober.
In der Tat zählt der 1973 in Chambery geborene Franzose zu den wichtigsten Vertretern des zeitgenössischen Tanzes – mit Expertise in Sachen Erbe: 2009 übernahm der klassisch ausgebildete Tänzer und Choreograf das Centre chorégraphique national in Rennes, das er bis 2018 als «Musée de la danse» führte. Hier entstanden ästhetisch und konzeptionell wagemutige Werke wie «enfant» (2011) oder «10 000 gestes» (2017), dazu international gefeierte Formate, etwa «20 Dancers for the XXth Century», das mit einem Auszug aus Pina Bauschs «Nelken» auch in Berlin zu sehen war (tanz 8/14). Ebenso brilliert Charmatz als Performer und Partner berühmter Kolleg*innen wie Anne Teresa De Keersmaeker – und als Animateur für Amateurkollektive unter freiem Himmel. Sein Enthusiasmus ist ansteckend und seine Empathiefähigkeit ganz erstaunlich ...
PINA BAUSCH ARCHIV: ONLINE
Was lange währt… ist wirklich gut geworden. Seit dem 18. November ist das Pina Bausch Archiv online zugänglich – nicht zur Gänze, aber der Anfang ist gemacht. Und dieser Auftakt lässt sich vielversprechend an: Pina Bausch an einem längst museumsreifen Tonbandgerät, die Zigarettenschachtel griffbereit, Hände und Augen in die Arbeit an der Aufnahme vertieft, und das mitten in einem Stillleben aus Bandsalat, Handtasche und «Phillips»-Papiertüten ringsum – schon das digitale Entree spricht Bände. Über das Menü am linken Rand klicken wir uns hinein in die Welt des Tanztheaters und seiner legendären Gründerin: Personen, Stücke, Archiv – wo auch immer die Reise beginnt, führt sie ins Abenteuer, weil direkt von einer Station zur nächsten oder über strahlenförmige Verzweigungen auf (scheinbare) Nebengeleise. Zum Beispiel von «Café Müller» zu einem Probenvideo aus Venedig, im Mai 1985 gedreht und von einer Intensität, die einen hin- und hineinreißt in die Tiefe dieser solitären Inszenierung. So bewahrt dieses Archiv, unter www.pinabausch.org zu erreichen, eine Vergangenheit, die Zukunft hat. Bisweilen haben Entscheidungen der Pina Bausch Foundation, der sämtliche ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von tanz? Loggen Sie sich hier ein

- Alle tanz-Artikel online lesen
- Zugang zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von tanz
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Tanz Dezember 2021
Rubrik: Menschen, Seite 28
von Dorion Weickmann
Im Mai 1913 sorgte die Uraufführung von «Le Sacre du printemps» in Paris für einen der größten Theaterskandale des 20. Jahrhunderts. Das Publikum reagierte mit Spott und Wut auf die ekstatischen Bewegungen von Vaslav Nijinskys Choreografie und die expressiven Rhythmen von Igor Strawinskys Komposition. Heute, mehr als 100 Jahr später, gilt das Stück längst als ein...
Und wenn es nur dieses eine Bild gäbe in «Planet [wanderer]», es würde völlig ausreichen, damit das neue Epos von Damien Jalet und Kohei Nawa Eingang in die Tanzgeschichte fände. Dabei stecken die Füße der Tänzer*innen im Boden fest, wie angewurzelt. Doch gerade deshalb schweben sie beinahe und täuschen vor, im Grunde Algengewächse zu sein, so leicht, so...
Wie der Zufall so spielt: Ein Schulfreund von Salar Ghazi will 1987 eine Klassenfahrt nach West-Berlin nützen, um seine Verwandten im Osten der Stadt aufzuspüren. Er denkt: eine einfache Sache, man muss sie einfach anrufen. Schließlich hat heutzutage doch jeder ein Telefon. Auch in einer DDR, die in den Achtzigern für viele noch eine «sogenannte DDR» ist. Ein...