Rituale: Xavier Le Roy
Einen Talisman, Glücksbringer oder ein bewusst gewähltes Ritual vor Vorstellungsbeginn, all das habe ich nicht. Obwohl mir schon auffällt, dass ich es bevorzuge – und daher auch immer so einzurichten versuche –, schon vor Vorstellungsbeginn auf der Bühne zu sein. Warum? Keine Ahnung. Vielleicht weil ein Auftritt auf der Bühne so etwas ist wie eine Einladung von Leuten zu dir nach Hause, und da sollte man eben schon vor den Gästen anwesend sein.
Und bei Stücken, bei denen ich die Bühne erst betrete, wenn das Publikum längst auf den Plätzen sitzt, fällt den Zuschauern gewissermaßen die Gastgeberrolle zu. So herum geht es also auch. Oder es ist einfach meine persönliche Angewohnheit, bei Verabredungen in der Regel lieber ein paar Minuten zu früh da zu sein, als zu spät zu kommen.
Xavier Le Roy, studierter Molekularbiologe, Tänzer, Choreograf und Konzeptkünstler, ist seit vergangenem Jahr Professor für Angewandte Theaterwissenschaft an der Universität Gießen
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Tanz Jahrbuch 2019
Rubrik: Glücksbringer, Seite 20
von
Eigentlich betrachte ich mich als einen ziemlich rationalen und wenig abergläubischen Menschen. Aber wenn es um Auftritte geht, sieht das ganz anders aus. Mit den Jahren habe ich so viele Glücksbringer angehäuft und Rituale ausprobiert, dass ich mich immer mal wieder einer gründlichen Anti-Aberglauben-Prozedur unterziehe und ein paar Gegenstände ausmustere....
Sie ist erst sechzehn, als sie verheiratet wird. In der Hochzeitsnacht erschreckt sie der Angetraute schier zu Tode. Und das erste Mal hat eher etwas von einer Vergewaltigung als von einem Liebesakt. Kein Wunder, dass die Ehe nicht halten kann, was sie den anderen verspricht. Der Mann geht fremd, nimmt Drogen, setzt schließlich seinem Leben ein Ende. «Mayerling»,...
Ich habe tatsächlich ein kleines Ritual vor Auftritten, die mir in kürzester Zeit viel Kraft und künstlerische Aussage abverlangen. Ich murmele dann kurz vor dem Auftritt den Vers: «An schaurigen Riffen zerschellt der purpurne Leib» – aus dem Gedicht «Klage» von Georg Trakl. Obwohl dieser Vers eher düster und verzweifelt klingt, kommt er mir wie ein Schlachtruf vor...
