Liebhaben
Giselle, da steht sie, bildschön, vor dem Vorhang, Grabblumen zu Füßen, ein trauernder Albrecht spielt die Klarinette. Ihr Gesicht glänzt wachsweich. Ihren Kopf hält sie nach hinten gebeugt, den Mund leicht geöffnet. Ein weißes Laken spannt sich über ihren atemlosen Körper. Eine Puppe, eine Schaufensterpuppe, das denken alle im modernen Bau der Teatros del Canal in Madrid, bei dieser Premiere mit maskiertem Publikum auf vollen Sitzreihen – nur jeder dritte Platz im Theater ist gesperrt. Die Puppe stellt Giselle dar, ganz sicher, denn es ist die Premiere von «Giselle».
Da reißt der Klarinettist, ganz Mann, dieser Puppe das weiße Laken vom Leib. Und alle sehen – Giselle nackt. An Giulia Russos gespannten Beinen ist deutlich zu erkennen, was sie ist: eine mit flacher Atemtechnik gesegnete Tänzerin, todesstarr, von den Wilis verflucht. Die alte Geschichte also, die der Librettist Théophile Gautier und die Choreografen Jean Coralli und Jules Perrot 1841 erzählt haben, und die seither nicht mehr sterben kann, sondern wieder und wieder aufersteht.
Mindestens seit der legendären Neuinterpretation von Mats Ek 1982 weiß man, wie gut dieser Stoff geeignet ist, um den jeweiligen Zeitgeist zu ...
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Tanz Februar 2021
Rubrik: Produktionen, Seite 8
von Arnd Wesemann
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CD des Monats
the queen’ s delight
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Kinsun Chan
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