Leichte Träume
Die Netten sind meist die Uninteressanten. Hermia und Lysander in Shakespeares «Sommernachtstraum» etwa. Mal ehrlich: Was macht dieses mit sich einige, freundliche, in seiner cleanen Heterosexualität vollkommen ungebrochene Pärchen denn Nennenswertes? Hermia und Lysander behaupten, unsterblich ineinander verliebt zu sein, obwohl die Eltern andere Pläne mit den beiden haben, dann lehnen sie sich als wahnsinnig rebellischer Akt gegen diese Pläne auf und hauen ab, aber als sie müde werden und sich zur Ruhe betten, achten sie brav auf schicklichen Abstand. Langweilig.
Schon in Shakespeares um 1595 entstandener Komödie kommen Hermia und Lysander nicht an gegen das wilde Geschlechter- und Begierdengewirr, in das sie auf ihrer Flucht im Zauberwald geraten, und auch in Edward Clugs «Sommernachtstraum»-Choreografie am Staatsballett Berlin ist das zentrale Liebespaar eine Leerstelle, das vor allem saubere Beziehungskonvention performen darf.
Beziehungsgewirr
Was man Riho Sakamoto und Loïck Pireaux nicht vorwerfen kann. Die tanzen sicher und sympathisch, Clug hat ihnen einfach keine besonders spannenden Szenen choreografiert. In ihren Liebes-Pas de deux dürfen sie einfach nur nett sein, und wie öde das ist, zeigt sich, wenn eine Szene später Michelle Willems als Helena ein Solo bekommt. Helena ist unglücklich in Demetrius verliebt, der aber eigentlich an Hermia versprochen ist (das Beziehungsgewirr wird im Laufe der kommenden zweieinhalb Stunden noch deutlich wirrer werden, das weiß man auch von der Vorlage), und Willems tanzt das mit Hingabe, mit Mut zur Peinlichkeit, mit radikalen Wechseln zwischen stiller Innerlichkeit und weit ausgreifender Wut – und, nachdem am Szenenende Matthew Knight als Demetrius aufgetreten ist, auch mit einem Schuss Humor. Da fragt man sich schon, wie wenig Choreograf Clug eigentlich für Hermia und Lysander übrig hat, dass er die beiden so in der Langeweile versacken lässt. Wahrscheinlich ist er vor allem vorlagentreu: Sein «Sommernachtstraum» bleibt inhaltlich die ganze Zeit sehr nahe an Shakespeare, was dann eben auch der Geringschätzung dieses Durchschnittspaares entspricht.
Den «Sommernachtstraum» fürs Ballett zu adaptieren, ist ein Selbstläufer – nach «Romeo und Julia» hat man es hier mit dem am zweithäufigsten vertanzten Shakespeare-Stoff zu tun. Was nicht zuletzt daran liegt, dass Tanz schon in der ursprünglichen Komödienhandlung eine zentrale Rolle einnimmt, und dass es grundsätzlich eine Nähe zwischen Tanz und Traum gibt. Clug weiß also, dass er sich hier in eine Traditionslinie stellt, explizit werden im Programmheft die Adaptionen von George Balanchine (1962), Frederick Ashton (1964), John Neumeier (1977) und Jean-Christophe Maillot (2005) als Referenzpunkte genannt (interessanterweise fällt Heinz Spoerlis Version, die ab 1999 ebenfalls an der Deutschen Oper Berlin getanzt wurde, unter den Tisch).
Wenn man die aktuelle Inszenierung in dieser Reihe sehen möchte, dann ist allerdings gar nicht eindeutig, wo man sie da einordnen sollte. Einerseits erweitert sie das klassische Bewegungsrepertoire konsequent, mit einem eklektizistischen Stilmix, der vom höfischem Tanz über Showdance-Elemente bis zu zeitgenössischen Formen reicht. Andererseits versucht Clug nicht, die Figuren und ihre Handlungen neu zu fassen, er geht also hinter Neumeier und Maillot zurück – die hatten das problematische Frauenbild der Vorlage, den Sexismus, der sich nicht zuletzt im Streit zwischen Oberon und Titania Bahn bricht, dekonstruiert und kontextualisiert. Hier hingegen sieht man traditionellen Shakespeare, eine Geschichte, in der ein beleidigter Mann seine Frau ungestraft mit einem Zauber belegen darf, der dafür sorgt, dass sie sich in das nächstbeste Lebewesen verliebt, in diesem Fall: in einen Esel. Wat ham wa jelacht.
Flamboyant, luzide, unzuverlässig
Ändert aber nichts daran, dass der Abend in sich funktioniert, als Feier des Tanzes, der Grenzen überschreitet: moralische Grenzen, physikalische Grenzen, Geschlechtergrenzen. Das liegt nicht zuletzt an Puck, Hofnarr des Elfenkönigs Oberon, der die ohnehin komplizierten Liebeswirren zusätzlich verwickelt, teils aus Schusseligkeit, teils aus Freude am Chaos, teils aus echter Bösartigkeit. Und Leroy Mokgatle ist in Clugs Inszenierung ein bezaubernder Puck, flamboyant, luzide, unzuverlässig bringt sie eine campy Note in die Inszenierung, die den Abend heutiger macht, als er eigentlich angelegt ist. Vor allem ermöglicht sie Clug, weiterhin konventionell zu erzählen und trotzdem auf die Konvention zu pfeifen, wann immer er Lust hat. Und vielleicht ist das der Begriff, der diesen «Sommernachtstraum» auf den Punkt bringt: Lust.
Die gelungensten Passagen des Abends sind diejenigen, in denen die Lust übernimmt, Lust im Sinne eines kreatürlichen, uneinhegbaren Begehrens. Die äußert sich im Liebesstreit zwischen Oberon (Cohen Aitchison-Dugas) und Titania (Weronika Frodyma), halb Wrestling, halb Liebesakt, später in der Leidenschaft, die Titania für den zum Esel verwandelten Nick Bottom (Ross Martinson) empfindet. Überhaupt ist Frodymas Titania die zweite zentrale Figur in diesem Reigen: Wenn Mokgatle Puck als nicht fassbares, fluides Wesen zeigt, dann ist Titania bei Frodyma eine handfeste Frau, der zwar übel mitgespielt wird, die sich aber trotzdem nicht unterkriegen lässt. Spielerische Unzuverlässigkeit auf der einen Seite, weibliche Selbstbehauptung auf der anderen, fluides Spiel hier, Muskeln und Kraft dort – die Spannung, die zwischen diesen Figuren aufgemacht wird, trägt den Abend. Sie trägt auch darüber hinweg, dass Clug zum Schluss, als sich alles in Wohlgefallen auflöst, weil die Verwicklungen doch nur ein schöner, unmoralischer Traum waren, wenig einfällt. Das plätschert einfach so dahin, in eine Dreifachhochzeit, mit der die klaren Verhältnisse wieder hergestellt werden, und zwischendurch werden auch noch die Handwerkerszenen mehr oder weniger unmotiviert abgehandelt. Bei Shakespeare sind diese Passagen, in denen eine Handwerkertruppe ein Laienspiel aufführt, einerseits derbe Kunstsatire, andererseits Spiel im Spiel, das als Fremdkörper die Traumwelt der übrigen Geschichte erdet. Bei Clug dilettiert die Gruppe eben forciert vor sich hin, und damit klar ist, dass man es hier mit Metatheater zu tun hat, zeigt er diese Szenen als Stummfilm-Verschnitt, inklusive Texttafeln. Erst bei der Verwandlung eines Handwerkers in einen Esel ist dieser «Sommernachtstraum» wieder ganz bei sich, aber da hat ja auch abermals das Zauberreich (respektive Puck) übernommen. Was ziemlich deutlich zeigt, wofür sich Clug hauptsächlich interessiert.
Das klingt tendenziell mäkelig, dabei begeistern große Teile dieses Abends. Da ist Marko Japeljs minimalistische Bühne, im Grunde eine Art Wellblecharena mit funktionaler Felsenrampe, die mittels sich verändernder Lichtstimmungen (Tomaž Premzl) mal den Zauberwald, mal einen Strand darstellen kann. Da sind Leo Kulaš’ eigenwillige, jeder zeitlichen Verortung enthobene Kostüme, Traumkreationen, mit denen das Corps de ballet zum Wald mutiert (aus dem sich praktische Zauberblüten ernten lassen). Und nicht zuletzt ist da Milko Lazars Auftragskomposition, die sich fröhlich durch die Musikgeschichte zitiert, mal an einen Filmscore erinnert, mal in den Jazz ausgreift, mal neoklassisch daherkommt und mal popbeeinflusst.
Doch, das Staatsballett Berlin hat mit diesem Abend eine rundum stimmige Premiere abgeliefert, die zweifellos ihr Publikum finden wird. Zwischen die großen «Sommernachtstraum»-Ballette wird sich die Produktion nicht einreihen können, dafür ist sie dann doch zu leichtgewichtig (und womöglich auch zu nett), zu sehr darauf aus, die Zuschauer*innen nicht zu verstören, indem sie die bekannten Figuren und Aktionen radikal hinterfragt. Andererseits ist eine gewisse Leichtigkeit sicher nicht das schlechteste Konzept, um in einer Sommernacht zu träumen.
Wieder Deutsche Oper Berlin, 21., 28. Mai; in der kommenden Spielzeit im Juni und Juli 2026; www.staatsballett-berlin.de

Tanz Mai 2025
Rubrik: Produktionen, Seite 6
von Falk Schreiber
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