Jefta van Dinther – Mann mit Hund
Jefta van Dinther ist endlich angekommen. Lange pendelte der international gefragte Choreograf zwischen Stockholm und Berlin, jetzt steht er am Fenster seines Studios in Berlin-Rummelsburg und blickt auf Spree und Marina. Im August 2022 bezog er das «Diorama» im vierten Stock eines alten Fabrikgebäudes – eine strukturelle Förderung von «Tanzpakt Stadt-Land-Bund» machte es möglich. «Ein Traum ist wahr geworden», sagt van Dinther und lacht, weil das so pathetisch klingt.
Aber das «Diorama» ist tatsächlich ein Proberaum, wie man ihn kaum noch findet in Berlin: geräumig und hell, mit einer tollen Aussicht – und finanzierbar.
Nomadenleben
Zehn Jahre war van Dinther der schwedischen Kompanie Cullberg verbunden, zuletzt als Associated Artist. Er war oft auf Tour mit seinen Produktionen, hatte künstlerische Residenzen. Lange hielt er dieses Nomadenleben durch, dann wurde ihm klar: «Ich möchte einen Hund. Ich möchte ein Zuhause. Ich möchte mich mehr erden. Ich möchte mehr mit dem lokalen Team zusammenarbeiten. Ich möchte kontinuierlicher mit Menschen zusammenarbeiten.» Jefta van Dinther ist froh, dass er nun seinen eigenen Produktionsort hat – und einen Hund hat er sich auch angeschafft, Moses tollt während des Interviews durchs Studio. Über nachhaltiges Produzieren hat sich der Choreograf schon länger Gedanken gemacht. Das «Diorama» will er als Coworking Space für Professionelle etablieren, schon jetzt nutzen auch andere Choreografen den Raum. Der ist so groß, dass auch die Drehscheibe hineinpasste, die für sein jüngstes Stück «Remachine» hergestellt wurde.
Van Dinthers Stücke zeichnen sich durch einen rigoros physischen Ansatz aus: «In meiner Arbeit geht es oft darum, wie der Körper konditioniert wird durch seine Umwelt», sagt er. Seine abstrakten Arbeiten erkunden die physikalischen, sozialen und klimatischen Einflüsse, denen der Mensch ausgesetzt ist. In «Remachine» thematisiert er das Spannungsverhältnis zwischen Mensch und Maschine. Die unaufhörlich rotierende Scheibe zwingt die Performer, sich in ihren Bewegungen anzupassen. Es sind starke Kräfte, die auf den Körper einwirken, betont der Choreograf.
Seine atmosphärischen Performances entwickeln einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann – und fordern die Wahrnehmung heraus. In der frühen Arbeit «Grind» verschmelzen Bewegung, Sound und Licht, die Soloperformance ist eine technoide Auslegung des Prinzips der Synästhesie. Bis heute setzt van Dinther Klang und Licht als gleichberechtigte Elemente ein. Eine Erforschung der Bewegung bildet aber die Basis jeder Inszenierung. Dabei interessiert ihn auch, wie der Körper mit verschiedenen Materialien interagiert. In «Plateau Effect» kämpfen die Tänzer*innen beispielsweise mit einem riesigen Vorhang und Seilen. «Was mich antreibt, ist das, was ich nicht verstehe», sagt van Dinther. «Der kreative Prozess bei mir basiert auf Erfahrung und Analyse, auf Fragen über unser Leben. Aber ich versuche auch, hineinzutauchen in das, was ich nicht verstehe.» Vom Eintauchen in die Dunkelheit handelte auch das Männerduo «Dark Field Analysis», in dem er die Stofflichkeit des Körpers untersuchte.
Zarte Chorgesänge
Die rauen tänzerischen Aktionen bei Jefta van Dinther lassen bisweilen an Arbeit denken. Doch es geht ihm auch um das Transzendieren der materiellen Welt, dazu setzt er stärker als früher die Stimme ein. Schon in «Unearth» (2022) wurden die schweren, erdgebundenen Bewegungen der Tänzer*innen mit zarten Chorgesängen kontrastiert. Für «Remachine» wurden drei Songs der schwedischen Sängerin Anna von Hausswolff neu arrangiert, das Ensemble erhielt ein intensives Stimmtraining. Mit beglückendem Resultat: Selten hörte man Tänzer*innen so schön und inbrünstig singen. «Die Stimme transportiert uns in eine andere Welt – jenseits dieser materiellen Welt, jenseits des physischen Körpers», betont van Dinther. In dem Schöpfer dunkler Tanzwelten, der bei «Tanz im August» seine neue Arbeit «Ausland» herausbringen wird, steckt eben auch: ein Romantiker.
Premiere von Jefta van Dinthers immersiver Installation «Ausland» im Kraftwerk Berlin, vom 16. bis 19. August
Tanz August/September 2024
Rubrik: Tanz im August, Seite 19
von Sandra Luzina
CD des Monats
LÄNDLER
Unvorstellbar: Fast 450 Tänze hat Franz Schubert in den wenigen Jahren komponiert, die ihm geblieben sind, die meisten davon in aphoristischer Kürze. Gedankenblitze, gleichwohl in aller Genauigkeit notiert, «Moments musicaux», von denen man sich manchmal wünschte, sie würden ewig dauern. Pierre-Laurent Aimard, sonst eher bekannt als Interpret zeitgenössischer...
«Take Five» ist ein typisches Alexander-Ekman-Stück: perfekt gesetzter Tanz von einem ultraprofessionell agierenden Ensemble, einschmeichelnde Musik mit leichten Widerhaken, eine herzerwärmende Story, die, kurz bevor sie vollkommen in fröhlicher Cheesyness versinkt, einen Abgrund aufscheinen lässt, der dann wieder mittels Humor eingeebnet wird, zumindest solange der Humor nicht von einer...
Studium
Hochschule der Künste Bern
Master of Arts in Theater: «Acting for Screen & Digital Media»
Studienbeginn: Frühjahr 2025 Anmeldefrist: 15. Oktober
Infoveranstatung (online): 12. Sept. theater@hkb.bfh.ch; www.hkb.bfh.ch
Symposien
Medizinischer Fortbildungskurs «The Dancer’s Foot and Ankle & Beyond»
Das interdisziplinäre Symposium richtet sich an Fachleute für Sportmedizin,...