Zwischen den Welten

Clément Cogitore und Bintou Dembélé dekolonialisieren Rameaus «Les Indes galantes» an der Pariser Bastille, Leonardo García Alarcón bürstet die Opéra-Ballet gegen den Strich

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Was wohl der weise wie menschenkundige Doktor Marianus zu dieser Szene am Beginn des vierten Akts von «Les Indes galantes» anmerken würde? Er würde vermutlich schweigen, schmunzeln und sehr sanft sein Haupt schütteln. Denn rein gar nichts ist hier von jener reinen Minne zu spüren, die Marianus in der Bergschluchten-Szene aus Goethes «Faust II» besingt, von jener ernsthaften, tiefen, wahren Liebe, die des Mannes Brust ernst-zart bewegt und für ihn zur Quelle des Mutes, der Wonne sowie seines Seelenfriedens wird.

Diese Liebe sieht sich verwandelt in blindes, unproduktives, vor allem grob spekulatives Begehren, und dabei machen weder Damon, ein fescher französischer Offizier, noch sein Kompagnon Don Alvar, ein spanischer Grande, einen besonders guten, geschweige denn erhabenen Eindruck. Schauen, als ein Quintett aus platinblonden Cheerleadern hereinwedelt, aus gülden schimmernder Rüstung, mit hochmütiger Miene mal hier, da und dort hin, zupfen, während sie durch die Reihen scharwenzeln, keck-verwegen am Röckchen einzelner Damen, geben die galant-gescheiten Gockel, dass es eine (Un-)Art ist, wissen aber letztlich gar nicht, wer das Subjekt ihrer angeblich außergewöhnlichen Zuneigung ...

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Opernwelt November 2019
Rubrik: Im Focus, Seite 18
von Jürgen Otten

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