Gehäutet

Romeo Castellucci entmystifiziert in Lyon Honeggers dramatisches Oratorium «Jeanne d’Arc au bûcher», Kazushi Ono liefert dazu hintergründige Klangtableaus

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Man sieht ihr Bild und weiß es: Diese Frau ist ein Mythos. Nicht nur in Frankreich, wo sie verehrt wird wie eine Heilige. Johanna von Orleans, tugendhafte Amazone in schimmernder Rüstung, eine Standarte in Händen; religiös-auratische Anführerin einer politisch-prosaischen Sache: Hundertjährig klirrte kalt der Krieg zwischen England und Frankreich. Mittendrin Penthesileas Schwester, tatendurstig, von göttlicher Vorsehung angekündigt, um nach einer Unzahl siegreicher Schlachten auf dem Scheiterhaufen zu landen.

Am Ende wartete auf die Jungfrau das Feuer, weil der Teufel in Menschengestalt sie nicht mehr als irdische Existenz ertragen mochte. Und Gott? Wusste an dieser Stelle auch nicht weiter.

Jeanne d’Arc. Der Mystifikationen, mit denen man sie bestrickte, sind es viele. Zu viele, meint Romeo Castellucci. Und fährt deswegen in seiner Lyoner Inszenierung mit dem Schwert in die Geschichte hinein, um ihr (der Geschichte wie Johanna) die Last abzunehmen. Was nicht heißt, dass er sie verspotten wollte wie weiland Voltaire. Das nicht. Castellucci trachtet danach, «gegen die Symbole zu rebellieren, gegen die Hagiografie, gegen das nostalgische Gedenken und dagegen, die himmlische Heldin ...

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Opernwelt März 2017
Rubrik: Im Focus, Seite 18
von Jürgen Otten

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