Es ist ein ein Lachs

2,5 Tonnen schwer und 17 Meter lang ist der hyperrealistische Fischleib in der zeitgenössischen Oper „Sleepless“, einer Koproduktion mit dem Grand Théâtre de Genève, die im November 2021 in der Staatsoper Unter den Linden ihre Premiere feierte. Zum aufwendigen Planungs- und Herstellungsprozess gibt der verantwortliche Produktionsleiter Auskunft.

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Auf den ersten Blick sparsam eingerichtet und gleichzeitig bildstark zeigte sich die Bühne für die zeitgenössische Oper „Sleepless“ in der Berliner Staatsoper. Drei Ruderboote und eine Laterne, dahinter ruht schimmernd – je nach Beleuchtung mal silbrig, mal blaugrün – ein meterhoher, den Bühnenraum füllender Fischkörper. Er liegt auf dem Trockenen, scheint gestrandet. Die Kiemen verbergen zwei Türen. Die Fahrten der Drehbühne geben die funkelnden Augen, dann das aufgesperrte Maul und schließlich das veränderte, lädierte Innere des Fisches frei.

Das lachsfarbene, markant gemusterte Fleisch, sperrige Gräten und das lange Rückgrat formen und bergen Räume. Mal sind es Zimmer, dann eine Bar, ausgestattet mit passendem Mobiliar und Beleuchtung. Ein surrealer Ort und zugleich ein Symbol für die in Norwegen spielende Opera Ballad in zwei Akten: Die Musik stammt vom ungarischen Komponisten Péter Eötvös und basiert auf der Erzählung des Norwegers Jon Fosse. Der ungarische Regisseur Kornél Mundruczó beschäftigt sich in seinen Stücken und Filmen mit Menschen am Rand der Gesellschaft. Der Fisch sei als Objekt und Bühnenbild gleichermaßen wichtig, erklärt Mundruczó im Programmheft. „Dort leben, wo der Fjord glitzert und der Lachs aus dem Wasser springt“, dieser in der Oper wiederholte Satz erzählt von der Hoffnung der beiden jugendlichen Hauptfiguren und der Illusion, einen guten Ort, eine heile Welt zu finden – und bedient zudem ein Klischee von Norwegen.

„Sleepless“ handelt von Liebe und Verantwortung. Es gehe darum, den Menschen eine Stimme zu geben, die nicht wirklich eine Stimme haben. Der junge Asle und seine hochschwangere Freundin Alida suchen eine Bleibe, die ihnen aber verwehrt wird. Ohne Geld können sie kein Zimmer mieten, niemand nimmt sie auf. Diese Ausweglosigkeit, Ablehnung und menschliche Kälte lässt Asle drei Morde begehen. Die Sehnsucht der beiden jungen Leute nach einem guten, sicheren Leben wird nicht erfüllt, im Gegenteil: Eine Gruppe Fischer und der Man in Black, die personifizierte Moral, richten über Asle, und erhängen ihn. Alida erfährt erst von Asleik, einem Bekannten aus Kindertagen, von Asles Tod. Um ihr Kind versorgt zu wissen, heiratet sie den älteren Mann. Jahre später, als alte Frau sieht sie im Blau des Himmels ihren geliebten Asle und geht ins Meer.

Planung und Produktion 
Der Startschuss des Bühnenbilds für „Sleepless“ fiel für die Produktionsabteilung bereits Ende September 2020. Bühnenbildnerin Monika Pormale stellte dem Team damals das Konzept zum ersten Mal vor. Mehrere Wochen Detailarbeit sowie ein paar Anpassungen und Veränderungen durch das Produktionsteam in Abstimmung mit der Bühnenbildnerin folgten. Schließlich stand Anfang November 2020 das Bühnenbildkonzept in der groben Form, wie es jetzt auf der Bühne zu sehen ist. Die Elemente Fisch, Wirbel mit Gräten, die Bodengestaltung sowie Straßenlaterne und Wolken waren damit angelegt. Auch die wichtigste Frage, welche Fischart gefertigt werden sollte, war beantwortet – die Wahl fiel auf einen Lachs. Sehr schnell stellte sich für die Produktionsabteilung die Frage nach der konkreten Umsetzung des Fisches mit seinen Gräten und Wirbeln – sie sollten wie aus dem Körper herausgelöst erscheinen. Für alle Beteiligten war „Sleepless“ ein ganz neues Projekt, denn in dieser Größe und Erscheinungsform hatte bisher niemand ein Bühnenbild erarbeitet. Das Projektteam aus Produktionsleiter und drei Konstrukteur:innen bzw. Produktionsassistent:innen war gefordert, diesen überdimensionalen 17 m langen hyperrealistischen Fisch auf die Bühne zu bringen. Die Aufgaben wurden aufgeteilt: Konstrukteur Alexander Janisch übernahm die Konstruktion des Fisches und wurde von Produktionsleiter Johannes Stiefel bei der Umsetzung des Kopfes unterstützt. Produktionsassistent Lucas Seng konstruierte den Bodenausbau und die Wagen der Wände. Zahlreiche Vorgespräche wurden über die grundsätzliche Handhabung im Spielbetrieb auf und neben der Bühne geführt. Der Aufbau des Bühnenbilds muss in den straffen Zeitplan des Repertoirebetriebs passen, denn „Sleepless“ wird parallel zu vielen anderen Inszenierungen aufgeführt. Danach folgten die ersten Absprachen mit den Werkstätten über die Beschaffenheit und die Herstellung der Dekoration.

Modell
Neben der vorhandenen 3D-CAD-Datei war es notwendig, ein 1:20-Modell des Fisches und dessen Wirbel als aussagekräftige Vorlage von der Bühnenbildnerin zu erhalten. Dies war sowohl für die Konstrukteur:innen als auch für die Mitarbeitenden in den Werkstätten unabdingbar. Das Modell wurde in 3D gedruckt und anschließend malerisch gestaltet. Eine erste Schwierigkeit bestand darin, die vorhandene Datei, also das 3D-Flächenmodell, in ein 3D-Volumenmodell umzurechnen, um damit arbeiten zu können. Neben einer intensiven Recherche nach einer Software zur leichteren Umrechnung wurde der Körper mit einem großen Zeitaufwand und enormer Rechnerleistung schließlich mit AutoCAD umgerechnet. Es gab ca. sechs Umrechnungsvorgänge, von denen jeder mit Vorund Nachbereitung einen ganzen Arbeitstag dauerte. Einzig der Kopf und die Flossen ließen sich nicht umwandeln. Die Datenmenge überschritt schlicht die Rechner- und Programmkapazitäten. Mit diesen ermittelten Daten war es dann möglich, Schnitte anzulegen und Formen des Körpers abzubilden. Nach der Werkstattübergabe Anfang März 2021 überlegten Paul Baer, Projektleiter des Bühnenservice der Opernstiftung Berlin, und Dan Wehner, Leiter der Plastiker, unter welchen Voraussetzungen dieses große Projekt zu bewältigen wäre. Zuerst mussten die Schlosser und Schreiner des Bühnenservices das Innenleben des Körpers mit den Wagen fertigen, damit das Team der Plastiker um Jens Reutermann und Haluk Atalayman die äußere Gestaltung des Fischs erarbeiten konnte. Der Fischkörper ließ sich nacheinander und unabhängig von den Gewerken fertigen. Die Türen und die Flossen entstanden – wegen der organischen Form und der Passgenauigkeit am Körper – in direkter Absprache zwischen den Gewerken. So gaben die Plastiker den Schlossern vor, welche Stahlprofile sie benötigten, um dann darum die Flossen zu entwickeln. Die Türen bekamen ein Innenleben aus Holz, damit auch die Scharniere befestigt werden konnten.

Materialien
Der Fisch besteht vor allem aus Styropor, Stahl, Holz und teilweise aus einer Polyurethan(PU)-Beschichtung. Der gesamte Körper steht auf zwei Stahlwagen, die sich pneumatisch absenken lassen. Auf den Wagen werden Stahlböcke aus Fachwerk verschraubt. Gefräste Holzspanten an diesen Böcken geben die Außenkontur des Fischs wieder und waren damit für die Plastiker ein wichtiger Anhaltspunkt für die Formgebung. Zwischen den Holzspanten wurden Styroporblöcke befestigt, die zusammen mit einer ca. 10 cm dicken Styroporschicht auf den Spanten den Körper des Fischs bilden. An der konvexen Seite des Fisches war die Oberfläche als Schuppen und an der konkaven eine Sicht auf das Fischfleisch gewünscht. Die Schuppen aus dünnem Schaumstoff, mit einer Fläche von ca. 50 m2, wurden mit einer Bandsäge in Streifen ausgeschnitten und die Bahnen einzeln auf den Fisch aufgebracht. Die oberste Schicht der Schuppen und des Kopfes bildet eine aufgesprühte Zweikomponenten-PU-Beschichtung. Dieses Verfahren wurde gewählt, um die Oberfläche widerstandsfähiger zu machen, um Schäden beim Transport nach Genf zu vermeiden sowie um sie glänzend und glatt erscheinen zu lassen. Das Fischfleisch wurde klassisch mit Nessel kaschiert und beide Seiten wurden anschließend malerisch gestaltet.

Eine Besonderheit stellen die Augen dar. Sie bestehen aus einer doppelten tiefgezogenen Halbschale, sodass gerade beim seitlichen Einblick der Eindruck einer Hornhaut mit darunter liegender Pupille entsteht. Diese Idee der doppelten Halbschale stammte von den Plastikern, die das Produktionsteam und die Bühnenbildnerin dankend angenommen haben. Zusätzlich werden die Augen mit jeweils einem kleinen kopfbewegten LED-Scheinwerfer von innen farbig beleuchtet und mit einer davor angebrachten Frostfolie diffus gehalten. Neben den Scheinwerfern für die Augen sind noch mehrere Scheinwerfer für das Beleuchten des Mauls mit einem Schmuckberg und der Türen in den Kopf eingebaut.

Teilung und Aufbau
Der Fisch besteht insgesamt aus 13 Teilen und kann auf der Unterbühne der Staatsoper fast vollständig voreingerichtet und mittels Transportpodium auf Bühnenniveau gebracht werden. Lediglich die Schwanzflosse wird erst auf der Bühne montiert. Der Kopf besteht aus drei Teilen. Die beiden Türen in Höhe der Kiemen können ausgebaut werden. Der Körper ist mehrfach geteilt und die Rücken-, Fett- und Schwanzflosse sind abnehmbar. Der Fisch ist innen hohl und kann vom Kopf aus durch eine kleine Revisionsöffnung begangen werden. Das Fischmaul ist über zwei Scharniere gelagert und beweglich. Bedient wird das Maul von zwei Bühnentechniker:innen mit einer Stange aus dem Kopf heraus. Der Kopf des Lachses ist durch eine Öffnung an der konkaven Seite begehbar. An der konvexen Seite befinden sich zwei Türen, die wie Kiemen anmuten. Die Öffnung und auch die Türen werden szenisch verwendet und der Kopf wird durch die Sänger:innen begangen und bespielt. Der Öffnungsmechanismus der Türen ist ein Doppelscharnier aus Aluminium, das von den Werkstätten in der Schlosserei hergestellt wurde. Das Scharnier musste direkt an der gefertigten Kontur des Fisches entwickelt werden, da die doppelt gebogene Form der Türen eine kompliziert geformte Fläche darstellt und der Kopf nicht in ein Volumenmodell umgerechnet werden konnte. Die 33 Wirbel haben einen CNC-gefrästen Holzkern, sind aus Styropor geschnitzt und ebenfalls mit Polyurethan beschichtet. Die Wirbel werden bei der Vormontage mit dem Holzkern auf ein gebogenes Stahlprofil gesteckt, das dann auf den Wänden befestigt wird. Die Gräten können von den Wirbeln getrennt und mit einem unsichtbaren Einhänge- bzw. Passverbinder befestigt werden. Anfangs sollten die herabhängenden Gräten – die zwischen 50 cm und 3,5 m lang sind – ein Stahlprofil als Kern bekommen. Im Laufe des Baus stellte sich aber heraus, dass die Gräten mit der PU-Beschichtung stabil und starr genug sind, weiteres Material hätte deren Gewicht nur noch erhöht. Durch den einfachen und großteiligen Aufbau des Fischs war der Zusammenbau auf der Bühne innerhalb einer Schicht von acht Stunden mit sechs bis acht Bühnentechniker:innen möglich.

Aufwendige Formen
Obwohl das auf der Bühne stehende Volumen für eine Oper nicht besonders groß ist, war „Sleepless“ für die Konstruktionsabteilung und auch für die Werkstätten ein sehr aufwendiges Bühnenbild. Schließlich ergaben sich für das gesamte Bühnenbild über 1000 Stunden Konstruktionszeit. Wir haben feststellen müssen, dass es einen großen Aufwand bedeutet, organische dreidimensionale Formen für die Werkstätten zu visualisieren und herstellbar zu machen. Es war schwer, den Fisch in zweidimensionale Werkstattzeichnungen zu „verwandeln“. Dieser Aufwand wurde zu Beginn des Projekts unterschätzt.

Der stetige Austausch zwischen künstlerischem Team, Produktionsteam und speziell den Plastiker:innen war für dieses Projekt notwendig und wurde von allen Seiten als sehr fruchtbar wahrgenommen. Obwohl die Umstände pandemiebedingt anders waren als sonst, ergaben sich dadurch auch Chancen. Anstatt Vor-Ort-Termine in großen Abständen, gab es wöchentliche Videokonferenzen zwischen den Verantwortlichen, die einen sehr guten und kontinuierlichen Austausch möglich machten. •

Der Lachs – technische Daten
Gewicht: 2,5 t 
Bogenmaß/Länge: 17 m lang 
Höhe Rücken: ca. 3,5 m 
Höhe Rückenflosse: 5,2 m
Gesamte Produktionszeit: 2100 h (davon Plastiker: 1180 h, Schlosser: 400 h, Tischler: 150 h, Maler: 350 h, Dekorateure: 20 h)

Johannes Stiefel ist seit 2012 Ingenieur für Theatertechnik. Eine erste Station führte ihn an das Theater Basel, an dem er sieben Jahre, erst als Konstrukteur und anschließend als Produktionsleiter, arbeitete. Seit Juli 2019 ist er als Technischer Produktionsleiter an der Staatsoper Unter den Linden tätig.


BTR Ausgabe 1 2022
Rubrik: Foyer, Seite 5
von Iris Abel und Johannes Stiefel

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