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Kritikerumfrage Opernwelt 2018

Bereits zum vierten Mal geht die Oper Frankfurt als OPERNHAUS DES JAHRES aus unserer Umfrage hervor. Mit einem klug ausbalancierten Programm, das randständiges Repertoire (Strauss’ «Capriccio»), Wiedergewonnenes (Meyerbeers «L’Africaine – Vasco da Gama») und Neues (Arnulf Herrmanns «Der Mieter») mit brillant ausgeleuchteten Klassikern (Lehárs «Lustige Witwe») kombiniert und das mit für die jeweiligen Werke passgenau ausgewählten Teams realisiert wurde. Johannes Leiacker etwa, zum zweiten Mal (nach 2008) BÜHNENBILDNER DES JAHRES, punktete unter anderem mit einem für Brigitte Fassbaenders Frankfurter «Capriccio»-Inszenierung entworfenen Schloss-Salon im okkupierten Frankreich des Jahres 1940 – kongenialer Rahmen des schlüssigen Versuchs, die hier behandelte apolitische Konversationskultur als Akt einer inneren, schließlich in einem Bekenntnis zur Résistance mündenden Rebellion zu begreifen.

Foto: Barbara Aumüller

Lesen Sie in dieser Ausgabe des TheaterMagazins auch: Interview mit dem
Intendanten des Opernhauses des Jahres, Bernd Loebe.

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Johannes Martin Kränzle, der nach 2011 erneut die meisten Stimmen in der Kategorie SÄNGER DES JAHRES erhielt, wurde nicht nur für sein Bayreuther Beckmesser-Porträt, sondern ebenso für seine vokal wie gestisch im Wortsinn ungeheure Präsenz als Šiškov in Janáčeks Gulag-Oper «Aus einem Totenhaus» prämiert – eine weitere (von David Hermann in Szene gesetzte) Produktion aus dem Haus am Willy-Brandt-Platz, die überregional Aufsehen erregte. Mehrfach nominiert wurde Sara Jakubiak, eine Sängerin, die vier Jahre dem Frankfurter Opernensemble angehörte. Marlis Petersen, vor allem wegen ihrer kinoreifen Vorstellung in Claus Guths Bühnenfilmdreh zur «Lustigen Witwe» wieder auf einem vorderen Platz, verdankt diesen Erfolg ebenfalls nicht zuletzt einem Gastauftritt in Frankfurt. Gleichauf mit Jakubiak und Petersen liegt übrigens Anna Netrebko (für diverse Rollen), knapp übertroffen von Marianne Crebassa, die als Sesto im Salzburger «Tito» und als Mélisande in Ruth Berghaus’ an der Berliner Lindenoper wiedererwecktem Debussy-Traumspiel das zweitbeste Ergebnis hinter dem «Sänger des Jahres» erzielte; sie ist auch (in der Hosenrolle des Ascagne) an der CD DES JAHRES beteiligt, der bei Erato erschienenen Neuaufnahme von Hector Berlioz’ «Les Troyens» unter dem Dirigenten John Nelson – unlängst haben wir die Mezzosopranistin im Interview vorgestellt (siehe OW 6/2018).

Foto: Barbara Aumüller

Lesen Sie in dieser Ausgabe des TheaterMagazins:
Porträt des Sängers des Jahres:
Johannes Martin Kränzle

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Zu den Grundpfeilern der Frankfurter Qualitätsarbeit zählt eine Ensemblekultur, an der (junge) Solisten wachsen können, bevor sie – wie jetzt Sara Jakubiak – ihr Glück in freier Wildbahn suchen. Bei Johannes Martin Kränzle währte die Bindung volle 18 Jahre, und es mag eine besondere Pointe sein, dass ein durch alle Höhen und Tiefen (einschließlich einer lebensbedrohlichen Erkrankung) gegangenes Ex-Mitglied dieses Ensembles wesentlich dazu beitrug, dass die von Barrie Kosky auf dem Grünen Hügel inszenierten «Meistersinger von Nürnberg» zur AUFFÜHRUNG DES JAHRES gewählt wurden. Die Idee, Wagner alias Sachs samt seiner Entourage, von Cosima und Liszt bis Hermann Levi alias Beckmesser in Wahnfried vorzuführen, war zwar nicht neu. Doch so virtuos, mit so befreiend-bitterem, tiefschwarzen Humor hatte noch niemand Handlung und Musik mit ihrer nationalchauvinistischen Vereinnahmungsgeschichte verblendet. Klaus Bruns, der KOSTÜMBILDNER DES JAHRES, sorgte für die bis zum letzten Barthaar stimmige historistische Garderobe. Kein Wunder, dass der Name Kosky auch unter den meistnominierten Regisseuren auftaucht – an zweiter Stelle, vor Tobias Kratzer, dessen aberwitzige «Götterdämmerung» am Badischen Staatstheater Karlsruhe zugleich in der Kategorie «Aufführung des Jahres» so gut abschnitt, dass er sich hier mit Krzysztof Warlikowski («Pélleas et Mélisande» bei der Ruhrtriennale) den zweiten Platz teilt.

Als Kratzer vor zehn Jahren in Graz den Regiewettbewerb «Ring Award» gewann, war der diesjährige REGISSEUR DES JAHRES einer der Juroren: Peter Konwitschny. Dass der inzwischen 73-Jährige zum sechsten Mal den Titel gewinnt, hängt mit einer Reihe von Arbeiten zusammen: In Stuttgart etwa zeigte Konwitschny Cherubinis «Medea» in einer neuen deutschsprachigen Dialogfassung als atemraubendes Drama internalisierter Gewalt; an der Oper Bonn brachte er Othmar Schoecks «Penthesilea» als schwindelerregend konzentrierten Geschlechterkampf heraus; in Nürnberg frischte er seine erstmals 2013 am Theater an der Wien präsentierte «Attila»-Kriegssatire auf und verwandelte dort schließlich Zimmermanns hypertrophe «Soldaten» in ein beklemmendes Kammerspiel. Seine langjährige Dramaturgin Bettina Bartz berichtet aus der Werkstatt.

Kalkuliert maßlos, freilich in völlig anderer Mission komponiert, sind auch die Dimensionen der WIEDERENTDECKUNG DES JAHRES: Erich Wolfgang Korngolds erotisch aufgeladenes Mysterienspiel «Das Wunder der Heliane». Marc Albrecht und Christof Loy nahmen das 1927 uraufgeführte Weltumarmungsstück – nach einem ersten schlüssig in Szene gesetzten Rehabilitierungsversuch des Pfalztheaters Kaiserslautern vor acht Jahren –an der Deutschen Oper Berlin als Parabel ernst, mit einer fulminanten Sara Jakubiak in der Titelrolle.

Die URAUFFÜHRUNG DES JAHRES war im Opernhaus Zürich zu erleben: Heinz Holligers Musiktheater «Lunea» auf ein Libretto von Händl Klaus, eine Hommage in «23 Lebensblättern» an den 1850 in der Psychiatrie verstorbenen Dichter Nikolaus Lenau, setzte sich gegen starke Konkurrenz durch – mit Christian Gerhaher in der Titelpartie, dem Komponisten am Pult, inszeniert von Andreas Homoki. Jeweils mehrere Voten entfielen auch auf Aribert Reimanns «L’Invisible» nach Einaktern von Maurice Maeterlinck, herausgebracht an der Deutschen Oper Berlin, auf Toshio Hosokawas frei nach Kleist gestaltetes Opus «Erdbeben. Träume», in dem mit dem Chor der Stuttgarter Oper der Chor DES JAHRES mitwirkte (es ist der elfte Auszeichnung!), sowie auf Arnulf Herrmanns in Frankfurt produziertes Horrorstück «Der Mieter».

Die Bayerische Staatsoper darf sich über die NACHWUCHSKÜNSTLERIN DES JAHRES und das ORCHESTER DES JAHRES freuen: Die Sopranistin Anna El-Khashem ist Mitglied des Opernstudios; das Bayerische Staatsorchester gewinnt den Titel zum fünften Mal in Folge, während der bereits viermal prämierte Chefdirigent Kirill Petrenko die Auszeichnung diesmal John Eliot Gardiner überlassen muss, der für seine Tournee mit Aufführungen der drei Monteverdi-Opern erstmals DIRIGENT DES JAHRES wurde (Seite 114). Im Münchner Nationaltheater stieß allerdings auch, pars pro toto, das ÄRGERNIS DES JAHRES auf: Georg Baselitz’ «Parsifal»-Kulisse als Sinnbild verfehlter Bühnen-Dekos von Promi-Malern.

Last but not least: Das von Richard Erkens herausgegebene «Puccini-Handbuch» (Metzler/Bärenreiter) ist das BUCH DES JAHRES. Der sorgfältig edierte Band würdigt endlich den vielgespielten, doch immer noch, nicht nur in Deutschland, gern unter Kitschverdacht gestellten Komponisten als Musikdramatiker sui generis.

Alle Voten der 50 der an unserer Umfrage beteiligten Kritiker
finden Sie im Jahrbuch der Opernwelt

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