Sie stehen in dem Ruf, ein Sängerspezialist zu sein. Wo haben Sie sich die entsprechenden Kenntnisse erworben?
Ich bin im Alter von 16 Jahren das erste Mal in ein Opernhaus gestolpert – und zwar in dieses hier – und habe mir vom ersten Tag an bis heute jede Besetzung aufgeschrieben. Ich musste also ein Gefühl dafür gehabt haben: Das wird für dich irgendwann einmal wichtig. Ich weiß, dass ich am 6. Oktober meine 8000. Vorstellung sehen werde. Absurd! Ich habe früh Schallplatten gesammelt: vormittags gejobbt, nachmittags in Schallplattenläden das Geld wieder ausgegeben und mir viel gekauft, was abseits des Kernrepertoires lag. Dann war ich elf Jahre beim Hessischen Rundfunk verantwortlicher Redakteur für die Oper. Da wurde man mit Schallplatten, später mit CDs überhäuft. Aber ich bin auch damals schon sehr gerne herumgefahren. Wenn ich viel im Studio gesessen hatte, fand ich es unerträglich, weil mir das Live-Element fehlte. Und wenn ich viele schlechte Aufführungen in der Oper gesehen hatte, war ich froh, dass ich wieder in mein kleines Kabäuschen gehen und über Sänger reden konnte, die schon lange tot sind.
Die Live-Erfahrung ist doch für Sie sicher entscheidend dafür, jemanden zu engagieren.
Die Agenten sind immer geradezu frustriert, wenn sie mir ihren neuesten Katalog vorstellen und mir auf einem Kassettenrekorder – das gibt es wirklich noch – ihre Tenöre vorspielen. Hier wird niemand engagiert, sei es ein Regisseur, ein Dirigent oder ein Sänger, den wir nicht vorher gekannt haben und von dem wir nicht das Gefühl haben: Der passt hierhin. Ich denke, in vielen anderen Häusern wird ähnlich verfahren.
Wo finden Sie die Sänger?
Ich bin da in den letzten Jahren ein bisschen verwöhnt worden durch den guten Kontakt zur Juilliard School in New York. Da fahre ich jedes Jahr hin und lasse mir von den Absolventen vorsingen, auch von den Teilnehmern des Nachwuchsprogramms der Metropolitan Opera. Ich fahre nach Neumarkt in der Oberpfalz; mich verbindet eine große Freundschaft und Sympathie mit Edith Wiens, die an der wesentlich von ihr gesteuerten Internationalen Meistersingerakademie eine hervorragende Arbeit als Gesangspädagogin macht. Aber wir haben hier am Haus auch jede Woche Vorsingen. Fast jeder, der anfragt, darf auch vorsingen. Und man darf den Wettbewerb «Neue Stimmen» der Bertelsmann-Stiftung in Gütersloh nicht vergessen, der alle zwei Jahre stattfindet, wo ich seit 16 Jahren in der Jury bin und auch ab und zu mal zugreife. Komischerweise oft bei Sängern, die nicht ins Finale kommen, ich aber das Gefühl habe: Mit einem guten Coach kann man aus dieser Person sehr viel mehr herausholen.
Worauf achten Sie, wenn Sie jungen Sängern zuhören?
Natürlich sind die technischen Standards essentiell. Eine Stimme, die mit 26 Jahren technisch nicht sauber geführt ist, wird nie sauber singen. Es geht dann aber auch um eine individuelle Qualität, die nicht am Fließband entstehen kann. Es geht um sängerische Intelligenz und um Teamfähigkeit. Wir leben am Haus extrem davon, dass wir uns als Team empfinden.
Wenn Sie Sänger ins Ensemble holen: Können Sie sie lange genug halten, um die Früchte Ihrer Arbeit zu ernten?
Da sprechen Sie einen wunden Punkt an. Als ich hier anfing, konnte man mit einer Brenda Rae Rollen verabreden, die sie in vier bis fünf Jahren singen würde. So wird das von mir eigentlich auch immer konzipiert – dass ich einem neuen Sänger sage: «Die nächsten zwei Jahre sind schon durchbesetzt. Da musst Du auch mal eine kleinere Rolle singen. Aber dann, wenn Du Dich normal entwickelst, kommt etwas Größeres.» Unsere Zeit ist unglaublich kurzlebig geworden. Das gilt für Regisseure, Dirigenten und Sänger, auch für Intendanten. Keiner nimmt sich die Zeit zu sagen: Ich will an einem Ort etwas entwickeln. Die Agenturen wollen, dass die Sänger möglichst schnell freiberuflich arbeiten, weil sie so mehr Geld verdienen können. Die jungen Sänger haben keine Zeit mehr. Sie wollen ganz schnell Karriere machen. Das macht mir das Leben manchmal schwer, auch meiner Mitarbeiterin Almut Hein, weil wir ständig Urlaubsscheine ausfüllen. Einerseits sind die Sänger stolz, Mitglied im Ensemble der Frankfurter Oper zu sein, andererseits möchten sie höchstens 20 oder 25 Abende pro Jahr hier singen. Da verliert man als Intendant manchmal die Lust.