Neustarter

Bloß keine Routine! Dirk Elwert hat sich unzählige Male neu erfunden, bevor er auf dem Chefsessel des Ballett Graz Platz genommen hat. Natürlich kein Bürojob, berichtet Plamen Harmandjiev

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Dirk Elwert lebt gerne in Graz. In der Stadt mit ihrem lebendigen Mix aus Jung und Alt herrscht eine völlig andere Atmosphäre als in Chemnitz mit seinem Plattenbau-Charme, wo Elwert ein Jahr als Ballettbetriebsdirektor und stellvertretender Ballettdirektor tätig war, bevor er nach Österreich wechselte. Am Abend vor unserer Begegnung markiert die Premiere von «Sacre!» (S. 30) den Auftakt der zweiten Spielzeit des Ballett Graz unter seiner Leitung.

Der zeitgenössische Doppelpack aus Louis Stiens’ «Fieber» und George Céspedes’ «Le Sacre du printemps» hat für ein ausverkauftes Haus und stehenden Applaus gesorgt — ein Treuebekenntnis seitens des Publikums, das sich schon so ziemlich an Handlungsballette gewöhnt hatte. Bis Elwert übernahm. Und der zeigte sich, wie ihm in unserem Gespräch anzumerken ist, angesichts der positiven Reaktion durchaus überrascht. Sie hat ihm einmal mehr gezeigt, dass seine Arbeit mit der Grazer Kompanie aufgeht. Elwerts erklärtes Ziel: so viele «Menschen, Tanzsprachen, Nationalitäten und Herangehensweisen» wie möglich in die Stadt zu holen. Auf ein frisches, jüngeres Publikum kann er hier bereits zählen, und das ist eine ideale Voraussetzung für eine seiner ...

Louis Stiens und George Céspedes «Sacre!»

Die große, fahrbare Skulptur scheint allgegenwärtig: ein Objekt, das einen durchs Weltall driftenden Meteoriten ebenso wie einen Felsbrocken oder ein Stück durch Fracking zerstörte Landschaft darstellen könnte. Es ruft ein ungutes Gefühl hervor, das sich weder aus Claude Debussys «Pré-lude à l‘après-midi d‘un faune» noch aus dem darauffolgenden Stück von Maurice Ravel, «Ma mère l’oye», ableiten lässt. Vielmehr bildet es ein parallel zur Musik laufendes, undurchsichtiges Narrativ, das vielleicht eine mögliche postapokalyptische Zukunftsvision entwirft. Der zweigeteilte «Sacre!» in Graz ist denn auch ein wuchtiger zeitgenössischer Doppelabend, der vor unbequemen Fragen nicht zurückschreckt.

Louis Stiens’ Ballett «Fieber» scheint irgendwo im Raum zwischen dem musikalischen Optimismus des beginnenden 20. Jahrhunderts und einer düsteren Zukunftsvision angesiedelt. Die Bewegungen changieren zwischen großen, sehnsuchtsvollen Gesten und Augenblicken, in denen eine unausgesprochene Angst mit Händen greifbar wird. Das Spiel der Grazer Philharmoniker wird von Donnergrollen (oder ist es Bombenhagel?) und Zitaten aus Vaslav Nijinskys Tagebuch ...

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Tanz Februar 2025
Rubrik: Menschen, Seite 29
von Plamen Harmandjiev

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