Flow

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«I am rooted, but I flow» heißt es in Virginia Woolfs Roman «Die Wellen»: «Ich bin verwurzelt, aber ich fließe»

Die Worte entspringen dem Gedankenstrom der Protagonistin Jinny, die ihren Körper als reizvolles, rauschhaft tanzendes Instrument der Welterschließung empfindet und sich selbst als wandelbar, offen, nicht festgelegt, kurz: «im Fluss». Der Roman erschien 1931, noch vor der Geburt des ungarischen Wissenschaftlers Mihály Csíkszentmihályi, dessen «Flow»-Theorie die Welt bis heute aufsaugt.

Flow, so die Kurzformel, meint die völlige Vertiefung und Hingabe an das, was ich gerade tue. Sei es schöpferischer, sei es alltagspraktischer Natur. Tänzer*innen kennen das Phänomen, Künstler*innen, Wissenschaftler*innen, Sportler*innen – und spielende Kinder. In den besten Momenten tauchen wir – allein oder gemeinsam – in diese Seins- und Selbstvergessenheit ein, die existenzielle Grenzen verflüssigt und das Ich beflügelt. Was schwieriger wird angesichts einer Gegenwart, die politökonomische Stacheldrahtzäune hochzieht: Kriege, Krisen, Konflikte, Armut und Ausbeutung, auseinanderdriftende Gesellschaften und Umweltzerstörung. Der vitale Flow brandet gegen Barrieren wie Meereswogen gegen ...

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Tanz Jahrbuch 2025
Rubrik: Editorial, Seite 8
von

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