Dominique Dumais «Classic Soul»

Würzburg

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Schon der Andrang spricht für sich: Ausverkauft, obwohl die Interimsspielstätte des Würzburger Theaters in den Ausläufern der Stadt liegt. Ein Bus-Shuttle bringt Besucher*innen vom Busbahnhof zur Theaterfabrik Blaue Halle. Wo es Tuchfühlung mit den Tänzer*innen gibt, weil der Backstage-Bereich auch das stille Örtchen für die Allgemeinheit beherbergt.

Wenn die Tür zur Maske nach der Vorstellung offensteht, lässt sich noch schnell ein «Dankeschön, thank you!» hineinrufen – in lauter junge, frische Gesichter, die für «Classic Soul» stehende Ovationen und jede Menge Anerkennung verdient haben.

Seit 2018 leitet Dominique Dumais die Tanzsparte und hat ihr trotz Pandemie einen Aufschwung beschert, der auch «Classic Soul» beflügelt. Obwohl krankheitshalber Ende November nur elf statt zwölf Tänzer*innen auf der Bühne stehen, wirft sich das Ensemble derart kraftvoll in die eineinhalbstündige Aufführung, dass das Publikum von der ersten bis zur letzten Minute wie gebannt an Bewegungen und Begegnungen hängen bleibt – ja stellenweise sogar mit wippt, was das inhaltliche und musikalische Thema des Abends gleichsam naturwüchsig hergibt. «Bach made me dedicate my life to music» – dieses Zitat der Jazz-Virtuosin Nina Simone (1933 – 2003) ist das Leitmotiv der Inszenierung, die 19 Kompositionen des barocken Spiritus rector und seiner späten Nachfahrin aneinanderreiht. Dumais und ihre Tänzer*innen machen daraus keinen biografischen Bilderbogen der Jazz-Ikone, sondern wandern an den Songs entlang und dem, was sie textlich verhandeln.

Dabei werden Soli, Duette und Tutti eng miteinander verzahnt, jede*r Akteur*in kriegt einen Einzelauftritt und sortiert sich danach wieder nahtlos unter die Kolleg*innen ein. Der Auftakt gehört Matisse Maitland, die den Übergang von Bach zu Simone tänzerisch moderiert. Bis sie selbst irgendwann im ausgeweideten Flügel-Korpus hockt, dem einzigen Fixpunkt der nahezu ohne Kulissen und Requisiten auskommenden Szenerie von Kerstin Laube. Umso besser lässt sich das choreografische Geschehen beobachten: atmende, organische Sequenzen, über leichte Pliés gut geerdet, mal ausdrucksvoll schwingende, mal ineinander verhakte Ensembles, aus denen solipsistische Passagen herauswachsen. Grandios etwa, wenn Simone in einer Live-Aufnahme von 1976 «Someone To Watch Over Me» mit einem langen Instrumentalprolog ansteuert, einer schieren Demonstration ihrer Genialität als Pianistin – während ein Frauensextett der Stimme Körper verleiht und Debora Di Biagi alle Sehnsucht auf den Bewegungspunkt bringt. Ganz anders der Tonus von «Go Limp», einer frechfröhlichen Protest-Ode, die mit charmantem Witz ins Gestische übersetzt wird – direkt gefolgt vom herzinniglich in den Raum verlängerten «The Twelfth of Never».

«Classic Soul» ist ein fantastisch komponiertes Gespinst aus Ton und Tanz, das überdies etwas sehr Seltenes zustande bringt: Luftig, durchlässig und luzide – die Neu-Vermessung einer Klangwelt namens Nina Simone. 

Wieder 8., 10., 16. Jan., 18., 19., 27. Febr.; www.mainfrankentheater.de


Tanz Januar 2025
Rubrik: Kalender, Seite 46
von Dorion Weickmann

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