Auf Umwegen

Dem Choreografen Mats Ek zum 80. Geburtstag

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Ob er jetzt mit achtzig endgültig die Hände in den Schoß legt? Die Frage ist nicht unberechtigt, schließlich hat Mats Ek schon einmal seinen Rücktritt erklärt, um dann doch wieder auf die Bühne zurückzukehren. «Nein», erklärt er postwendend, und verweist in diesem Zusammenhang auf die jüngste Choreografie, die sozusagen als Vorspiel, denkbar auch als Einladung zu seinem Geburtstag im Auftrag der Königlichen Oper Stockholm entstanden ist: «A Cup of Coffee» (tanz 3/25).

Im Studio mit sich allein
Eine Bühne ohne die Werke von Mats Ek wäre auch kaum vorstellbar. Unverwechselbar sind seine Choreografien, die er im Lauf eines langen Lebens geschaffen hat und die hoffentlich auch weiterhin noch entstehen: Stücke sui generis, die auf Anhieb erkennbar sind als die seinen. Stücke, stets bodenständig, selbst wenn sie sich in die Höhe heben, und durchweg geprägt von einem Humor, der sich unversehens auch in sein Gegenteil verkehren kann. Ja, seine Bewegungsweise hat manchmal etwas Eigenbrötlerisches, Überraschendes. Vielleicht gibt sie deshalb am Ende doch immer wieder Anlass zur Hoffnung und zur Freude.

Zweifellos hängt das so persönliche Erscheinungsbild seiner Choreografien mit ihrer Entstehungsweise zusammen. Mats Ek fühlt sich, wie er selber sagt, nach wie vor zu «schüchtern», um vor den Augen seiner Interpreten eine eigene Sprache zu entwickeln. «Ich muss im Studio mit mir alleine sein, wenn ich an mir etwas ausprobiere. Sobald ich mich an meinem Körper abgearbeitet und dabei Bewegungsmaterial gesammelt habe, fühle ich mich frei. Im Studio kann ich, durch Selbsterfahrung gut vorbereitet, improvisieren und mit den Tänzern Neues finden.»

Diese Schüchternheit, diese Kontrolliertheit seiner selbst erklärt sich nicht zuletzt aus dem familiären Umfeld, dem der 1945 in Malmö geborene Mats entstammt. Sein Vater, Anders Ek, zählt zu den prominentesten Interpreten des Regisseurs Ingmar Bergman. Die Mutter, Birgit Cullberg, ist schon zu Lebzeiten in Skandinavien als Choreografin so was wie eine Legende und tourt mit dem nach ihr benannten Ensemble um die halbe Welt. Niklas Ek wiederum, der ältere Bruder, macht schon früh als Tänzer Karriere, ein auffallender Blondschopf inmitten eines Ballet du XXe siècle, das unter Béjarts Leitung zu den Spitzenensembles der damaligen Zeit gehört. Und auch die Zwillingsschwester Malin sorgt für Aufsehen: als Schauspielerin in Stockholm.

Die choreografische Berufung
Mats Ek kehrt seiner Mutter zunächst den Rücken. «Aber dieses Sträuben geschah ganz unbewusst», wie er sich seine Eigenwilligkeit erklärt. «Ich bin deshalb nicht gleich zum Tanz gestoßen, weil ich das, was mir vorgelebt wurde, nicht als eine Selbstverständlichkeit nehmen, sondern über einen längeren Umweg dort selber ankommen wollte.» Ein langer Umweg, der den 27-Jährigen nach einem Studium der Theaterwissenschaft und diversen Regie-Tätigkeiten wieder zurück in die Arme seiner Mutter, sprich: zu Cullbergbaletten führt. Und dort empfindet er nichts anderes als «Freude, Freude, Freude», auch wenn ihm das Tanzen manchmal beschwerlich wird und er technisch einiges nachzuholen hat. Aber der Wunsch, Choreograf zu werden, ist längst geweckt, wenn nicht sogar übermächtig. Und die Gelegenheit, um nicht zu sagen: die Notwendigkeit ergibt sich nach einem Zwischenengagement bei Erich Walter am Ballett der Deutschen Oper am Rhein: Um eine schöpferische Krise bei Cullbergbaletten zu bewältigen, braucht es neue Bewegungsimpulse. Ek gibt sie erstmals 1976 mit «Kalfaktorn», einem Ballett nach Büchners «Woyzeck». Ek: «45 Minuten lang, der vollkommene Wahnsinn». Aber bis ins letzte Detail gründlich vorbereitet wie all die Choreografien, die noch folgen sollten.

Und von denen gibt es inzwischen viele im Repertoire renommierter Kompanien. Angefangen bei «Giselle», die Ek so hereinholt in unsere Zeit, dass man Ballett nicht länger abtun kann als ein verstaubtes Relikt vergangener Zeiten. Über ein «Dornröschen», interpretiert 1996 in Hamburg als Drogen-Trauma samt vieldeutigem Spitzenschuh. Bis hin zu einem Klassiker wie «Julia och Romeo», der auf alles Klassische bewusst verzichtet. Nicht zu vergessen: die kleineren und auch größeren Kabinettstücke à la «Gräs», «She was Black» oder «A Sort of …», die anzuschauen man nie müde wird. Denn nie geben sie ganz ihr Geheimnis preis. Jedes Mal stellen sie Fragen, die wahrscheinlich nur der Tanz beantworten kann. Vorausgesetzt: Mats Ek hat ihm einen Körper gegeben.

Am 18. April wird Mats Ek achtzig. Wir haben allen Grund, den «Bühnenarbeiter», wie er sich nicht ohne Ironie und tiefere Bedeutung selbst bezeichnet, gebührend zu feiern. Eine Tasse Kaffee wird da wohl nicht reichen.


Tanz April 2025
Rubrik: Menschen, Seite 29
von Hartmut Regitz

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