Akram Khan, Manal Aldowayan «Thikra: Night of Remembering»

Paris on tour

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Al-Ula, was für ein Ort! Die Oasenstadt in der saudi-arabischen Wüste an der alten Weihrauchstraße ist mittlerweile ein Hotspot für Kunst und Kultur sowie für luxusverwöhnte Touristen. Die lange Zeit unzugängliche Wüstenlandschaft wurde 2008 in die Welterbe-Liste der UNESCO aufgenommen, denn in den gewaltigen Felsformationen von Hegra, geschliffen von Sonne und Wind, befinden sich über 100 monumentale Felsengräber, in der Antike von den Nabatäern in Sandstein gehauen.

Die mehr als 500 Inschriften und Malereien in den roten Felswänden von Jabal Ikmah geben als «Freiluftbibliothek» Einblicke in die Geschichte der einst florierenden Handelsmetropole.

Dass der renommierte Choreograf Akram Khan hier die letzte Arbeit für seine eigene Compagnie entwirft – schon überraschend. Dass er in Al-Ula die Zeit vergessen hat, besser gesagt die Gegenwart, dagegen nicht: «Hier werden wir daran erinnert, dass wir vielleicht bei unserer Reise im Strom der Zeit den Kompass verloren haben.» Und auf so eine Reise hat er sich gemeinsam mit der saudi-arabischen Künstlerin Manal AlDowayan begeben: «Thikra: Night of Remembering». Zur Indoor-Premiere beim Festival «Montpellier Danse» offenbart schon der erste Blick, dass wir das Hier und Jetzt verlassen sollen: Auf der abgedunkelten Bühne schimmert roter Fels. Oben steht einer Göttin gleich eine rot gewandete Frau und schreitet über eine Treppe hinunter, wendet sich einer Gruppe von Frauen zu, gekleidet in einfache Gewänder, lange weite Röcke, breite Gürtel und langärmlige Oberteile mit Schals in abgedunkelten Farben. Alle tragen ihr langes, schwarzes Haar offen – Frauen bestimmen hier das Leben. Ins Spiel kommen ein Felsbrocken, der, einmal umgedreht, eine Inschrift offenbart, eine weiß gewandete Frau und – das ist das Entscheidende – 14 wunderbare Tänzerinnen. Sie schwingen ihre Körper im Rhythmus der Komposition des indisch-amerikanischen Komponisten Aditya Prakash, fliegen wie ein Vogelschwarm über die Bühne, werfen ihre langen Haare durch die Luft, bäumen sich auf, recken ihre Arme gen Himmel, drehen ihre Hände mit weit gespreizten Fingern auf anmutigste Art, tanzen weich und geschmeidig.

Es ist ein Genuss, diesem Ensemble zuzuschauen. Akram Khan hat den klassischen indischen Bharatanatyam und zeitgenössischen Tanz fusioniert: Traditionen und Rituale, Erinnerungen an untergegangene Kulturen werden beschworen. Aber anders als Khan in Al-Ula tauchen wir nicht in eine magische unbekannte Welt ab, wir bleiben draußen, schauen vom Ufer auf den eleganten, manchmal dramatisch von der Musik aufgepeitschten Bewegungsfluss der Körper. Es fehlen unerwartete, poetische Momente. Dieser Blick zurück in sagenumwobene Zeiten kann unsere Sehnsucht nach einer anderen Welt nicht stillen. 

Wieder Paris, Théâtre de la Ville, 2.–18. Okt.; London, Sadler’s Wells, 28.–31. Okt., 1. Nov.; Rom, «Romaeuropa Festival», 5., 6. Nov.; Berlin, Haus der Berliner Festspiele, 11., 12. Nov.; Köln, Schauspiel Köln, 19., 20. Nov.
www.akramkhancompany.net


Tanz Oktober 2025
Rubrik: Kalender, Seite 36
von Claudia Henne

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