Geschenkte Gäule

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Klaus-Michael Kühne, mit einem Vermögen von 38,9 Milliarden Dollar der aktuell zweitreichste Deutsche, ist stolzer Hanseat. Und Opernfan. Weil Kühne das (auch vom Hamburg Ballett genutzte) Opernhaus im Hamburger Zentrum nicht gefällt, will er der Stadt ein neues Gebäude schenken.

Schon 2022 ging der Unternehmer mit diesen Plänen an die Öffentlichkeit, die Politik aber zeigte ihm die kalte Schulter: Der favorisierte Immobilieninvestor René Benko erschien als unzuverlässiger Partner, das aktuelle Opernhaus sei doch vollkommen ausreichend, außerdem kritisierte Kultursenator Carsten Brosda (SPD) den übermäßigen Einfluss einer Einzelperson auf Städtebau und Kultur. Das Thema schien vom Tisch, bis vergangenen Februar plötzlich Nägel mit Köpfen gemacht wurden – Hamburg wird ein neues Opernhaus bauen, die Stadt stellt das Grundstück zur Verfügung, Kühne wird den Bau finanzieren, Punkt. Super. Brosda offenbar schwenkte um, Bürgermeister Peter Tschentscher (ebenfalls SPD) will «sich über das Geschenk der Oper des Stifters an die Stadt einfach freuen» dürfen. Heißt: kein kritisches Gemäkel am geschenkten Gaul.

Dabei gibt es durchaus Anlass zum Mäkeln. Das Argument, dass hier eine Einzelperson Antworten auf Fragen gibt, die eigentlich demokratisch entschieden werden müssten, gilt ja weiterhin. Und es gibt auch noch andere Gründe, kritisch auf die Pläne zu schauen:

– Werner und Alfred Kühne (Onkel und Vater von Klaus-Michael Kühne) drängten 1933 den jüdischen, vermutlich Anfang 1945 in Auschwitz ermordeten Teilhaber Adolf Maass aus dem Logistikkonzern Kühne & Nagel. Das Unternehmen avancierte daraufhin zum NS-Musterbetrieb, zuständig unter anderem für den Abtransport geraubten jüdischen Besitzes aus Frankreich und den Benelux-Staaten. Bis heute hat der Konzern diesen Komplex nicht öffentlich aufgearbeitet.

– Schon seit Jahren unterstützt Kühne Hamburg großzügig über die Kühne-Stiftung, unter anderem fließt Geld an den Sportverein HSV und die Elbphilharmonie, zudem hat er die Kühne Logistics University mit Standorten in Hamburg und Vietnam gegründet. So weit, dass er ordentlich Steuern zahlen würde, geht die Liebe zu seiner Heimatstadt aber nicht: Sitz des Weltkonzerns Kühne & Nagel Group mit 63 000 Mitarbeiter*innen ist das Schweizer Schindellegi, ein 3700-Seelen-Dorf im für seine niedrigen Steuersätze bekannten Kanton Schwyz, in dem Kühne auch seinen Hauptwohnsitz hat. Zur Erinnerung: Die Kühne-Stiftung finanziert den Bau des Opernhauses, ausgegangen wird von 300 bis 400 Millionen Euro. Würde Kühne wie ein Arbeitnehmer in seinem geliebten Hamburg Abgaben zahlen, wären das jährlich 1,7 Milliarden Euro, wie die taz nachgerechnet hat. Jährlich.

– Geplant ist die neue Oper am Baakenhöft, einem Hafenbecken am Rand der Hafencity. Weitab vom Zentrum, anders als der aktuelle Standort nur kompliziert zu erreichen. Zudem ein historisch belasteter Ort: Ab 1904 verschiffte Deutschland von hier aus Waffen und Soldaten für den Genozid an den Herero und Nama in der damaligen deutschen Kolonie Südwest-Afrika. Die Aufarbeitung dieser Verbrechen beschränkt sich bislang auf den akademischen Bereich, ob im Kontext des Opernneubaus ein Gedenkort entsteht, wie Kultursenator Brosda andeutet? Fraglich.

Klaus-Michael Kühne will ein neues Opernhaus. Peter Tschentscher will sich freuen. Und Carsten Brosda, der zuletzt angezählt wirkte? Will vor allem keinen Ärger. Aber hinterfragen sollte man das Ganze schon.


Tanz November 2025
Rubrik: Editorial, Seite 1
von Falk Schreiber

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