Divers und different

Das Projekt tanzbar_bremen e. V. ist ein Leuchtturm des inklusiven Tanzes. Zu Besuch war Nina Lovera

Tanz - Logo

Ein Innenhof. Urban, industriell, erinnert an London. Räume. Hell, modern, contemporary. Hier wird zeitgenössisch getanzt. Tänze werden entworfen, entwickelt, probiert, verworfen und produziert. Choreografiert, geprobt und aufgeführt – alles inklusiv. Hier ist tanzbar_bremen zu Hause. Selbstbeschreibung: «tanzbar_bremen will Kunst und Kultur möglichst vielen Menschen zugänglich machen. Dafür realisieren wir seit über 15 Jahren Projekte, in denen Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund professionell gemeinsam arbeiten.

Für unsere Auftritte, Workshops und Aktionen sind wir oft überregional und international unterwegs.» Studiobühne, schwarzer Tanzteppich, sechzig Sitzplätze. Der Bremer Tänzer und Choreograf Tim Gerhards und der frisch qualifizierte Tänzer und Tanzanleiter Till Krumwiede sitzen auf der Tanzfläche. «Wollen wir?», fragt Tim in den Raum. «Wir wollen», antwortet er sich direkt und steht schwungvoll auf. Sie laufen. Schnell, dynamisch. Dann immer langsamer, gebeugter. Der Wind heult, sie stützen sich gegenseitig. Erdrückende, kraftfordernde Tanzmotive. Es ist eine Durchlaufprobe des Duetts «chAOs», choreografiert in Zusammenarbeit von Tim und Till, produziert von tanzbar_bremen. Geprobt wird für eine weitere Aufführung des Stücks in Kaiserslautern. Sie tanzen unisono, stark, sie suchen und finden sich im Schneegestöber, lehnen sich erschöpft Rücken an Rücken. «Zwei Gefährten in einer lebensfeindlichen Landschaft in nicht allzu ferner Zukunft», heißt es im Programm. Und weiter: «Gemeinsam kämpfen sie gegen die Gewalten des Klimas, das aus den Fugen geraten ist.»

Gleichberechtigung, Selbstvertrauen, Eigenständigkeit
Die Mitgründerin von tanzbar_bremen, Corinna Mindt, erklärt: «Das Stück ist eine Art Gesellenarbeit von Till, der bei tanzbar eine Qualifizierung zum Tänzer absolviert hat.» Die Qualifizierung fand im Rahmen des Projektes «Kultur:Brücken» statt, um neue und kreative Wege zur Ausgestaltung der Zukunft von Jugendlichen mit Förderbedarf zu entwickeln. Unterstützt wurde es von den Job-Coaches von KwerWege, ihrerseits angegliedert an den Martinshof Bremen. Als erster Teilnehmer im Berufsausbildungsbereich der Darstellenden Kunst ist Till ein Pionier in diesem Bereich. Stolz lächelt er, als er auf seinen Abschluss angesprochen wird, ein ansteckendes Lächeln. Die Menschen in diesen Räumen machen einen zufriedenen Eindruck.

tanzbar_bremen ist «ein Kollektiv, das inklusiv im Tanz- und Kulturbereich unterwegs ist», erklärt Günther Grollitsch, Teil der künstlerischen Leitung und Mitbegründer des Vereins, der nicht nur durch seine professionellen Räume beeindruckt: 540 Quadratmeter Fläche für Studiobühne, Proberaum, Raum für Meetings, Büro, Küche – alles obendrein gut erreichbar und zentral gelegen in Bremen-Findorff. Beeindruckend ist vor allem, wie viel die Compagnie erreicht hat, seitdem sich Corinna und Günther 2005 unter dem Dach von steptext dance project vorgenommen haben, gemeinsam inklusive Projekte zu verwirklichen. Von ihrem ersten Stück, noch als Teil von steptext in der Schwankhalle Bremen, «Rollstuhl auf dem Mond», bis zum Jahr 2025 ist der Verein auf elf Festangestellte und viele freiberufliche Mitwirkende gewachsen. Sie haben eine beachtliche Anzahl an Tanzproduktionen realisiert und aufgeführt, und vor allem haben sie inzwischen einen sympathischen, professionell ausgebildeten Kern von drei festangestellten Künstlern mit Behinderung: Till Krumwiede, Oskar Spatz und Adrian Wenzel. Die drei jungen Männer tanzen schon seit vielen Jahren und sind «Vorbilder für viele andere Menschen mit Behinderung in Bremen», erzählt Corinna. Beim nächsten musikalischen Akzent fällt das Duett zu Boden. Die Tänzer suchen wieder, rhythmisch, erdig, kreisförmig. Blickkontakt. Rennen. Etwas stoppt sie. Balance. Die Männer arbeiten eingespielt zusammen. Es ist eine Freude, ihnen zuzuschauen. Athletisch und akrobatisch verkörpern sie mehr als Verzweiflung und Widerstand, nämlich Gleichberechtigung, Selbstvertrauen und Eigenständigkeit. «Wir haben ein Nomadenleben hinter uns», erinnert Günther an einem hellen Holztisch in einem hinteren Bereich der Räume. Als die Musiker der Bremer Philharmonie 2023 aus den Räumlichkeiten an der Plantage auszogen, konnte tanzbar_ bremen überraschend einziehen – endlich ein festes Quartier.

Förderung auf Minimalniveau
Seit über 15 Jahren organisiert der Verein Projekte wie Performances, Workshops und regelmäßigen Tanzunterricht – alles im inklusiven Rahmen. Dafür konnten immer wieder Mittel erwirkt werden, sodass alle Kosten gedeckt waren, und der Verein weiter wuchs. Aber was so erfolgreich und trittsicher aussieht, steht auf wackeligen Beinen. So wie das Duett, das gerade über einen reißenden Bach auf Steinen zu balancieren scheint. Nun kullern, rollen, springen sie. Sie halten inne, heben sich, aber die Steigerung der Choreografie zerschmettert alles, bis die zwei Tänzer kaputt am Boden liegen. Aus den Lautsprechern regnet es wieder. Wetter spielt eine zentrale Rolle in dem Stück. Regen, Wind, Donner, Sturm, Gewitter. Die Männer sitzen voreinander, helfen einander hoch. Sie laufen durch den Regen, mit hängenden Köpfen. Haben sie aufgegeben? Wie geht es weiter? Auch bei tanzbar ist die Zukunft ungewiss. Wie viele andere Kulturvereine ist auch dieses Projekt von Mittelkürzungen betroffen. Zusätzlich entstanden unerwartete Mehrkosten durch bauliche Anpassungen im Zuge der Barrierefreiheit – ein ebenso komplexes, wie wichtiges und kostenintensives Unterfangen. «Corinna hat geweint, nach dem Gespräch mit der Kulturbehörde», erzählt Günther. «Es schien beinahe hoffnungslos». Der Verein bekommt eine minimale institutionelle Förderung von der Stadt, die nur ein Fünftel des benötigten Fördervolumens deckt. Alles andere ist projektbasiert finanziert. Wie so oft wird sich auch hier von Projekt zu Projekt gehangelt – zermürbend. Es fehlt an Nachhaltigkeit. Eigentlich kaum vorstellbar, dass es so schwierig ist, langfristige finanzielle Mittel für ein so bemerkenswertes Projekt zu finden. Die Mitarbeitenden von tanzbar_bremen engagieren sich weiterhin mit großer Überzeugung. Sie suchen und finden neue Fördergelder oder Kooperationen für spannende Projekte. «Es ist wie Sisyphus- und Herkules-Arbeit gleichzeitig», beschreibt Günther diese Situation. Warum er immer weiter macht? Er grinst: «Es ist so … krass-super!»

Derzeit läuft ohnedies ein besonderes Vorhaben: Die Compagnie Unusual Symptoms des Bremer Theaters und tanzbar_bremen arbeiten mit dem Choreografen Josep Caballero García an einer gemeinsamen Uraufführung, «The Tide». «Die Ensembles zelebrieren einen spielerischen Tanz der Identitäten», heißt es auf der Website des Theaters. Die Produktion entsteht als Teil des Programms «pik – Programm für inklusive Kunstpraxis» der Kulturstiftung des Bundes. Auch das Duett von Till und Tim kommt jetzt zum Ende. Einer wird sauer, beide werden aggressiv, es kommt zum Kampf. Sie handeln einen Deal aus. Sie bauen sich auf, sie helfen sich hoch, sie verweilen Stirn an Stirn – im Sturm. Till steigt auf Tim. Tim hält Till. Till hält Ausschau: entdecken, erkennen, verstehen. Das Stück endet erleichtert, sie schlendern gemeinsam ab. Es gibt Hoffnung.

«The Tide» hat im Theater Bremen am 21. November Premiere; www.tanzbarbremen.dewww.theaterbremen.de


Tanz November 2025
Rubrik: Praxis, Seite 62
von Nina Lovera

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