Butch-it-girl
Um Eike Wittrocks Scharfsinn und Humor in voller Breite zu genießen, lohnt sich ein Blick in Susan Sontags «Notes on ‹Camp›», ebenso auf sein Instagram-Alter-Ego witchrock – gut für alle, die bei den neuesten Phänomenen exquisiter Küche, queeren Lifestyles oder den heißesten Fashion-Tipps en vogue bleiben wollen. Wer sich darauf einlässt, ertappt sich schon bald mit einer Diddl-Maus am eigenen Telfar-Taschenhenkel – jener legendären It-Bag des Jahres 2020, die doch längst selbst zum popkulturellen Symbol queer-campiger Coolness geworden ist.
Geschichte als Zukunftsraum
Eike Wittrock – ein Lebenslauf, der auffällt. Selten ist ein Werdegang so vielseitig, dass sein Facettenreichtum die Erzählung selbst zur Herausforderung macht. In Kürze: Historiker, Kurator, Professor für Tanzwissenschaft – Rollen, die sich bei ihm nicht strikt trennen lassen, sondern sich produktiv überlagern. Ob in Archiven, auf Festivals oder im Seminarraum: Immer geht es ihm darum, Historie lebendig zu machen, Brüche zu beleuchten und Geschichten der Vergangenheit so zu erzählen, dass sie in der Gegenwart Resonanz finden – ganz im Sinne von José Esteban Muñoz’ Idee, die Vergangenheit als eine Zukunft zu denken, ...
LUCA BONAMORE
«LAMENTATIONS»
Es geht hinab in den Saal des Schauspielhauses Wien, der auch ein edles Pornokino sein könnte. Die samtroten Sitzpolster scheinen womöglich nur so anrüchig, weil «Lamentations» von Luca Bonamore um 23 Uhr beginnt.
Auf der Bühne: eine Anordnung aus Toiletten, auf keramikverkleideten Säulen wie von Duchamp. Und aus der Liebkosung zwischen den Schüsseln gebiert sich eine faun’sche Kreatur in Latex-Overknees mit Hufen – halb Tier, halb Mensch, halb Fetisch, halb Fantastik. Über Nijinskys Faun schrieb einst der «Figaro», es sei ein Stück «erotischer Tierhaftigkeit» ohne Scham. Bonamore dreht diese Kritik mit Lust zurück: Er reitet von Pose zu Pose, verführt, bis die schwarze Perückenmähne die Scham auspeitscht. «Am I the pervert?», fragt er ins Publikum – und man möchte antworten: Nein, Fäunchen, cruise!
Was sich in der Ästhetik des queeren Cruisings entfaltet, ist weniger Obszönität als Sehnsucht – ein Bedürfnis nach Berührung, das sich schließlich in einem Duett mit Roland Horvath entlädt. Zunächst kein Kontakt, nur Nähe, bis Horvath sanft auf eine Schaukel gebettet wird. Keine kalt-eisenkettige Fickschaukel, sondern eine, wie man sie von einer ...
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