Blitzstart

Vor einhundert Jahren trat Yvonne Georgi mit gerade mal 21 Jahren als Tanzchefin in Gera an. Ein Blick zurück

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Als Yvonne Georgi am 10. August 1925 ihren Dienst am Reußischen Theater in Gera antritt, ist sie 21 Jahre alt. Vom Theaterbetrieb und -alltag hat sie noch nicht viel Ahnung. Trotzdem wird ihr ein fulminanter Start gelingen. Später wird sie sich erinnern: «Jedenfalls ist das immer mein schönstes Theaterjahr gewesen, was ich erlebt habe. Das Reußische Theater war so lebendig auf allen Gebieten. Ich konnte machen, was ich wollte.»

Voller Einfälle
Yvonne Georgi wird am 29. Oktober 1903 in Leipzig geboren.

Ihr Vater war Arzt, kam aus Oldenburg, die Mutter aus Nordafrika – vielleicht war sie als Kind eine sächsische Josephine Baker. Ihr Bewegungsdrang muss damals so überzeugend gewesen sein, dass sie in Hellerau bei Dresden eine Ausbildung in rhythmischer Gymnastik erhielt und anschließend bei Mary Wigman in Dresden in die Lehre ging. Wigman begann gerade zu unterrichten, ihre ersten Schülerinnen und Schüler hatten Glück – «Märy», wie sie von allen genannt wurde, wusste noch nicht, wie das geht. So konnten sich alle individuell entfalten, weil die Grenzen weit waren. Mary Wigman erinnert sich an eine Unterrichtsstunde mit dem Thema «Fahrrad»: «[Max] Terpis voran, bedachtsam, überlegen und stur auf das Ziel ausgerichtet. Palucca als zweite, skrupellos und besessen drauflos strampelnd und sich temperamentvoll völlig verausgabend. Hinter ihr, als Einfallsreichste wie stets, Yvonne [Georgi], auf Form und Stil bedacht. Hanya [Holm], die an Präzision nicht zu überbietende, hatte eine Panne und stieg von ihrem imaginären Fahrrad ab, um den schlaff gewordenen Hinterreifen aufzupumpen. Als letzter [Harald] Kreutzberg, selig verspielt vor sich hintretend und immer wieder abgelenkt von den Dingen, die sich ihm am Rande darboten, die er aufgriff und in das eigentliche Geschehen einbezog.»

Schon während der Ausbildung tritt Yvonne Georgi in unterschiedlichen Formaten auf. Immer wieder wird sie neben Palucca in der Presse hervorgehoben. Im Oktober 1923 treten beide mit einem gemeinsamen Tanzabend im Berliner Blüthner-Saal auf. Alle bekannten Tanzkritiker Berlins sind zugegen und schreiben von der Revolution neuer Jugend, von tausend Eindrücken und von außerordentlichen Tänzerinnen-Erscheinungen. Gemeinsam sind Wigman und ihre Schülerinnen dann noch einmal 1925 in dem Film «Wege zu Kraft und Schönheit» in trauter Eintracht zu erleben.

Mit Mut und Energie
Bei ihrem Erstengagement 1925 als Leiterin der Tanzgruppe in Gera gilt sie in erster Linie als talentierte Schülerin der weltberühmten Wigman. Was sie dann allerdings aus diesen Vorschusslorbeeren macht, ist bemerkenswert. Ihr gelingt der tänzerische Aufbruch. Sie ist mit Tanzgruppe und Publikum in eine neue Welt des Tanzes aufgebrochen und hat gleichermaßen die alten Formen des traditionellen Bühnentanzes aufgebrochen. Artur Michel von der «Vossischen Zeitung» in Berlin reist eigens nach Gera, um ihren ersten Abend zu begutachten – und ist begeistert! Man dürfe das Theater zu einem solchen Gewinn beglückwünschen, schreibt er am 6. Oktober 1925, und: Yvonne Georgi ist «heute die erste Ballettmeisterin, die an einer kleinen Bühne den Mut und die Energie hat, den Bühnentanz in neuem Geiste, ohne jeden Kompromiss mit der Ballettkonvention, zu pflegen.» Mit dem in Gera Erarbeiteten geht sie umgehend auf Gastspielreisen.

Geraer Widerstände
Im «Leipziger Tageblatt» heißt es 1925, ihr «Barabau», diese von rein rhythmisch-körperlicher Bildung getragene humoristisch-groteske Pantomime, sei das Beste des Abends gewesen: «Der schwierige, kanonisch gearbeitete Chor, der den toten Barabau beweint, ist ein Meisterstück.» Das ist nun allerdings genau die Szene, bei der den Geraern zur Silvester-Vorstellung 1925 der Kragen platzt. Überliefert ist, dass die persiflierte Trauer in dieser Begräbnisszene dem Publikum überhaupt nicht gefällt und es «Aufhören!» gerufen haben soll. Neues setzt sich oft nur gegen Widerstände und nicht allerorten gleichmäßig durch.

Am 28. Februar 1926 tritt Yvonne Georgi mit ihrer Tanzgruppe in einer Tanzmatinee in der Berliner Volksbühne am Bülowplatz (heute Rosa-Luxemburg-Platz) auf. Mit ihr tanzen Alice Jürna, Julian Algo und Hanns Renjeff. Als Einleitung zeigen sie drei «Kammertänze» – Reihenfolge: Gruppe, dann Georgi, wieder Gruppe – und dann «Saudades do Brazil» mit zwölf Tänzen zur Musik von Darius Milhaud. Nach der Pause geben sie wieder das Tanzspiel mit Chor «Barabau» von Vittorio Rieti. Das Haus ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Auch Mary Wigman ist erschienen. Und die versammelte Hauptstadt-Tanzkritik ist anwesend. Oskar Bie schreibt am 2. März 1926 im «Berliner Börsen-Courier» von einem lohnenden Gastspiel und urteilt: «Ja, es ist erfreulich, auf welcher Höhe dieser Kunst das gesamte Theater durch ihre Initiative steht. Die Frucht der modernen Tanzbewegung wird geerntet.» Zum «Barabau» heißt es, es sei ein so vollendeter Sinn für Komik darin, dass das Reußische Theater getrost neben dem russischen marschieren könne. Und endet: «Bravo, Gera, vielen Dank und weiter alles Gute!»

Auf Augenhöhe
Yvonne Georgis Shooting-Start in Gera ist undenkbar ohne Walter Bruno Iltz. Er war Intendant des Theaters und wollte junge Talente fördern. So holte er den 25-jährigen Hans Otto, den 22-jährigen Bernhard Minetti und eben auch Yvonne Georgi, die er aus gemeinsamer Dresdner Zeit kannte. Doch nach einer Spielzeit ist Schluss.

Fritz Böhme schreibt im «Berliner Börsen-Courier» am 4. Mai unter der Überschrift «Yvonne Georgis Abschied aus Gera» über ihre «Pulcinella»-Choreografie und resümiert: «Die Leistung setzt sie in eine Reihe mit den wesentlichen Führern der Tanzgruppen, die im jüngsten Geiste arbeiten.» Als Hoffnung war sie nach Gera gekommen, als Jung-Star wird sie weiterziehen und hinterlässt den Geraern ihr tänzerisches Erbe. Nach einer international erfolgreichen Karriere stirbt sie am 25. Januar 1975 in Hannover.

Karriere im Westen
Yvonne Georgi nimmt eine Sonderstellung im Bereich des modernen Tanzes in Deutschland ein. Während die anderen Tänzerinnen und Tänzer aus dem Hause Wigman neben und nach ihrer Karriere auf den Podien und Bühnen überwiegend eine pädagogische Laufbahn einschlugen, konnte sich Yvonne Georgi im Theater behaupten. Sie war in Düsseldorf und Hannover als Tanzregisseurin und Ballettdirektorin lange Jahre erfolgreich tätig. Dass sie sich diesem Betrieb aussetzte, ihn schließlich kannte und erkannte, welch vielfältige Möglichkeiten ihr das Theater für ihre Kunst bot, ist sicher auch dem glücklichen Einstieg am Theater in Gera zu verdanken.

Der Autor ist wissenschaftlich-dramaturgischer Berater des «Internationalen Ballettfestival Gera», das vom 8. bis 21. Mai 2026 stattfindet und – eingedenk des Zentenar-Jubiläums von Yvonne Georgi – unter dem Motto «100 Jahre tänzerischer Aufbruch in Gera» steht. Gegeben werden neben Georgi-Rekonstruktionen wie «Glück, Tod und Traum», das Ricardo Fernando erarbeitet, auch Gastspiele. Es reisen an: das Bundesjugendballett John Neumeier, Sasha Waltz & Guests, Aalto Ballett Essen und Boston Dance Theater. Das gastgebende Thüringer Staatsballett präsentiert die Uraufführung von «Romeo und Julia» in der Inszenierung von Emanuele Babici. www.theater-altenburg-gera.de


Tanz Dezember 2025
Rubrik: Traditionen, Seite 49
von Ralf Stabel

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