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Zeichen der Zeit

Der Countertenor Andreas Scholl

Es hat den Anschein, dass den Karrieren der jüngeren Stars eine Art von Künstlichkeit anhaftet, die auch dadurch befördert wird, dass das Tun dieser Stars medial aufgeschäumt wird. Stimmt der Eindruck?
Es könnte auch sein, dass es unsere veränderte Wahrnehmung ist, die solche Gedanken auslöst, wenn wir diese jungen Sänger auf dem CD-Cover sehen. Und natürlich ist es ein Zeichen unserer Zeit, dass jeder Erstsemester-Studierende eine Website wie Bryn Terfel oder Cecilia Bartoli hat, das lässt sich rein optisch kaum mehr unterscheiden. Dennoch wäre ich sehr vorsichtig mit dem Vorwurf der «Selbstdarstellung». Das Hochjubeln war doch genau das Gleiche, der äußere Schein. Ich erinnere mich noch sehr gut an das Foto-Shooting für die CD mit dem Titel «Nisi Dominus». Wir hatten sehr viel Spaß, und einmal habe ich einfach mal ein bisschen frech in die Kamera gegrinst. Und genau dieses Foto war dann auf dem Cover der CD abgebildet. Einige Hardcorefans haben eine halbe Ewigkeit an diesem Bild des jugendlichen Bubikopfes mit der Engelsstimme festgehalten und mich – kaum wurde ich älter und hatte einige Kilos zugelegt – abgestraft.

Dennoch wohnt, vergleicht man Ihre Cover von 1999 mit denen heutiger Countertenöre, in der medialen Darstellung allem etwas Pop-Ikonisches inne …
Ja, das kann sein. Und richtig, erst kürzlich gab es auf Facebook einen Hinweis auf die Instagram-Seite «Hot Classical Musicians», wo jemand Künstlerfotos von Musikern in knappen Badehosen mit Sixpack sammelt. Aber ich habe das nicht kommentiert.

Jetzt dürfen Sie!
Dann würde ich sagen, dass es mir peinlich wäre, wenn die Qualität meines (nicht existenten) Sixpacks höher bewertet würde als die Qualität meines Gesangs. Dass aber auch beides, also «hip»-Sein und hohe Kunst, nebeneinander bestehen können, dafür ist mein lieber Kollege Jakub Józef Orliński, mit dem ich in Frankfurt zusammengearbeitet habe, ein wunderbares Beispiel. Sein Image, so wie es seine Plattenfirma pflegt, ist absolut «zeitgemäß», aber er ist ein Superprofi, ein starker Bühnenschauspieler, ein genialer Sänger und ausgesprochen nett. Hier übertreffen der Gesang und die Künstlerpersönlichkeit sogar noch das Image, und deswegen passt es dann. Wenn ich so alt wäre wie er, würde ich das heute wahrscheinlich ebenso tun. Dann wäre auch ich ein Kind dieser Zeit. Aber mit 55 laufe ich eben nicht mit einem Selfie-Stick durch die Gegend. Alle diese Social-Media-Phänomene sollten im Zusammenhang mit ihrer Zeit gesehen werden, und jede Generation von Künstlern muss ihren Weg finden, um mit den Zuhörern auch jenseits des Konzertsaals zu kommunizieren.

Das gesamte Interview von Jürgen Otten lesen Sie in Opernwelt 8/23