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Zeitreise in den Donbass

Die ukrainische Dramatikerin Anastasiia Kosodii

Ein Stück, das wir in diesem Heft abdrucken, ist eine Reise in die Vergangenheit und in den Donbass.
«Timetraveller’s guide to Donbass» war ein ziemlich kompliziertes Stück, das ich für einen Dramatik-Workshop am Gorki Theater geschrieben habe, der dort zwei Jahre lang lief, 2017 und 2018. Das war für mich übrigens das beste Beispiel für einen sinnvollen Workshop, weil es gerade keine Kurse, Vorlesungen oder dergleichen gab, sondern wir uns einfach Szene für Szene unsere Stücke vorgelesen und darüber gesprochen haben. Ich hatte das Stück dann erst zwei Wochen vor dem Ende fertiggeschrieben, weil ich dadurch verstanden habe, warum es vorher nicht gut war. Vielleicht gut für ein ukrainisches Publikum, aber nicht für ein deutsches. Wobei die Teilnehmer:innen nicht nur deutsch waren; es war zum Beispiel auch Sivan Ben Yishai, Mehdi Moradpour oder Ebru Nihan Celkan dabei. Bei diesen Lesungen und Besprechungen meinten meine Kolleg:innen übrigens, es klinge sehr poetisch. Das war ja einerseits nett gemeint, aber andererseits ging es mir nicht darum, ich hatte nicht beabsichtigt, dass es schön klingt. Also dachte ich, dass ich es neu schreiben muss. Dann habe ich mit meinem damaligen Freund gesprochen, Jack Clover, er ist auch Dramatiker, und er hat mir zu einer mutigeren Lösung geraten, um die Geschichte zu erzählen. So bin ich auf die «Doctor Who»-artige Dramaturgie mit den beiden Zeitreisenden gekommen, die diese sechs Städte an der Front bereisen. Ich bin selbst oft dort gewesen, und wir hatten 2017 auch ein Projekt «Labor hinter den Grenzen der Angst» gemacht oder so ähnlich, auch ein sehr poetischer Titel. Da ging es darum, in diesen sechs Städten Leute zu finden, die Theater machen wollten, und ihnen dabei zu helfen, ihr eigenes Theater mit ihren eigenen Geschichten zu entwickeln. Also nicht über sie zu reden, sondern ihnen die Möglichkeiten an die Hand zu geben, selbst zu erzählen. Für mich war diese Reise damals schon ziemlich beängstigend, obwohl die Städte noch nicht vergleichsweise stark bombardiert waren. Ich hatte die Städtenamen damals noch nie gehört – Bachmut, Sewjerodonetsk, Slowiansk –, und die meisten Ukrainer hatten damals vermutlich auch noch nie etwas von ihnen gehört. Das war damals noch keine Front, auch noch nicht die «Grey Zone» unmittelbar dahinter. 2019 bin ich für ein weiteres Projekt nach Popasna gefahren, und da habe ich dann gesehen, was eine echte Frontstadt ist. Geschäfte waren geschlossen, die Häuserwände voller Löcher – aber inzwischen ist Popasna völlig zerstört und wurde zwischendurch von den Russen besetzt.

In «Timetraveller’s Guide to Donbass» suchen die beiden Zeitreisenden nach den Ursachen des Krieges. Sie kommen schließlich 2013 in der Nähe von Luhansk in ein kleines Dorf, wo ein Einwohner im Garten eine Kuh schlachtet.
Das ist der Witz, mit dem ich das Problem löse, weil es natürlich unmöglich ist, die Frage nach der Ursache des Kriegs zu beantworten. Ich habe das einmal in meiner Kindheit gesehen, wie man einer Kuh die Haut abzieht. Auf die eigentliche Frage gibt es viele Antworten. Eine davon handelt von älteren Männern, die nach etwas Bedeutendem suchen, das sie in ihrem jämmerlichen Leben anstellen könnten.

Das gesamte Interview von Eva Behrendt und Franz Wille lesen Sie in Theater heute 8/9 2022

(Portraitfoto: Birgit Kaulfuss)