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Das probiere ich jetzt mal!

Die Regisseurinnen Karin Henkel und Lisa Lucassen

Sabine Leucht / Katrin Ullmann Sie haben beide 1993/94 die Theaterszene betreten, aber durch unterschiedliche Türen. Während Karin Henkel direkt in die Höhle des Löwen gegangen ist, zu Claus Peymann ans Burgtheater, haben Sie, Frau Lucassen, ein mehrheitlich aus Frauen bestehendes Kollektiv gegründet. Stand dahinter auch die Idee, sich die Netzwerke, die es nicht gab, selbst zu schaffen? 

Lisa Lucassen Genau so würde ich es beschreiben. Wir haben diese Löwenhöhlen absichtlich gemieden, weil wir eine vage Vorstellung davon hatten, dass sie nicht besonders gut für Frauen, aber schon gar nicht für Kollektive eingerichtet sind. Und dann haben wir uns unsere eigenen Arbeitsstrukturen ausgedacht. Wobei natürlich nicht abzusehen war, dass dieser Zustand 30 Jahre andauern würde. Wir dachten, mit viel Glück vielleicht zwei. 

SL/KU Karin Henkel, wie sah die Höhle für Sie von innen aus? 
Karin Henkel Ich bin als Assistentin ans Burgtheater gegangen und dachte, das probiere ich jetzt mal aus. Wenn es nicht klappt, mache ich eben was anderes. Und es war zu Beginn schlimmer, als ich es mir vorgestellt habe. Also «Höhle des Löwen» trifft es. Aber die Fantasie, es anders zu machen, hatte ich leider damals nicht. Ich kannte nur den traditionellen Weg: zuerst einmal assistieren, und dann darf man irgendwann selbst eine kleine Sache inszenieren. Durfte ich auch ziemlich schnell, das hieß dann Lesung, sollte nichts kosten und musste nebenher und oft nachts geprobt werden mit Schauspieler:innen, die das freiwillig auf sich nehmen. Darüber war ich damals schon ganz glücklich. Dass ich als Frau mehr powern muss und der Weg holpriger ist, war für mich selbstverständlich. So wurde ich sozialisiert. Manchmal schäme ich mich heute dafür, wie viel ich damals einfach akzeptiert habe. 

Lucassen Die Kombination von jung und weiblich ist echt ein Killer im Theaterbetrieb … 

Henkel Herrn Peymann hat zum Beispiel wahnsinnig aufgeregt, dass ich in meinen frühen Assistentinnenjahren manchmal etwas bunter gekleidet war. Deshalb musste ich shoppen gehen und ab sofort jeden Tag in Arbeitskleidung erscheinen: schwarze Hose, schwarzer Pulli oder T-Shirt und Turnschuhe. Keine Absätze, damit ich kein Geräusch mache und quasi unsichtbar bin. Ich habe das mitgemacht und dachte: Ich fühle mich zwar nicht wohl, aber ich bin ja auch nicht zum Wohlfühlen hier. Das würde man heute übergriffig finden (wobei in vielen Berufen Arbeitskleidung noch immer normal ist). 

SL/KU Wie haben Sie es denn ausgehalten? 
Henkel Ich bin bei Peymann gescheitert als Regieassistentin, weil mir von dem Druck und dem Ton, der ja nicht nur mir gegenüber herrschte, übel geworden ist. Ich musste mich übergeben. Deswegen hat er gesagt «Die Henkel ist viel zu sensibel. Die soll zu Tabori. Alles andere hält sie nicht aus.» Und George Tabori war ein bewundernswerter Mensch, bei dem ich gelernt habe, mit wie viel Freundlichkeit und Humor man auch an diesen Beruf herangehen kann.

Das gesamte Interview von Sabine Leucht und Katrin Ullmann lesen Sie in Theater heute 5/23