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Ein eigener Weg

Die Griechische Nationaloper

Gegründet wurde die Griechische Nationaloper 1939, im gegenwärtigen Griechenland ist sie das einzige Haus mit festem Solistenensemble. Damit fällt ihr auch die Aufgabe zu, Publikum aus dem ganzen Land anzuziehen und dessen Nachwuchs zu fördern. Dass eine rein griechische Besetzung mit den Gaststars mithalten kann, ist im Doppelabend bei «Herzog Blaubarts Burg» und «Gianni Schicchi» zu hören. Mit Tassos Apostolou und Dionysios Sourbis sind die beiden Titelpartien aus dem Hausensemble besetzt. Auch bei ihnen fällt der Zugang markig aus, die Stimmen ruhen auf solidem Tiefenfundament. Apostolou, der bemerkenswerterweise ebenso als Schauspieler in Sprechtheater und Kino tätig ist, weiß zudem die Zwischentöne in Blaubarts Einsamkeit zu finden. Violetta Lousta ist ihm als Judith eine stolz fordernde Partnerin, weich im Ansatz, aber mit satten Spitzentönen. Als Gianni Schicchi gibt Dionysios Sourbis sympathisch und handfest den schlauen Bauern, die vielen Nebenrollen wissen sich ihren sängerischen Starmoment zu nehmen.

Das Dirigat von Vassilis Christopoulos lässt ihnen den Raum dafür. Bei Bartók setzt er nicht auf expressionistische Härte, sondern zeichnet die Musik in weichen Linien, fächert das Klangbild fast genießerisch auf. Den Fluss verliert er dennoch nicht. Entsprechend erzählerisch geht er «Gianni Schicchi» an, kostet den Humor und die moderne Komplexität von Puccinis Instrumentalsatz aus. Dabei kann sich Christopoulos, der im Herbst neuer Chefdirigent der Oper Graz wird, auf das präzise Nationalopernorchester ebenso verlassen wie auf die Akustik, die die Klänge aus dem Graben brillant ausleuchtet (womit sie für kleinere Stimmen allerdings nicht ungefährlich ist). Mindestens einmal im Jahr räumt Giorgos Koumendakis auch die große Bühne für ein griechisches, vorzugsweise zeitgenössisches Werk frei. Schließlich ist er selbst von Haus aus Komponist, seine Oper «Die Mörderin» – nach dem gleichnamigen Roman von Alexandros Papadiamantis – wurde zuletzt 2021 wiederaufgenommen. In den vergangenen sechs Jahren, sagt er, habe man einhundert Kompositionsaufträge vergeben. Wobei die entscheidende Rolle die Alternative Bühne mit ihren vierhundert Plätzen spielt, die mit Alexandros Efklidis einen eigenen Leiter hat. Hier werden konsequent experimentellere Bühnenästhetiken erkundet, nicht-klassische Musikformen eingebunden und zeitgenössische politische Themen aufgegriffen. So vermengte im vergangenen November Kharálampos Goyós in «Der Tod des Antonius» Inhalte der japanischen Anime-Serie «Candy Candy» mit Texten des Philosophen Slavoj Žižek. Themelis Glynatsis, Regisseur des «Blaubart», entwickelte im Rahmen der Jugendinitiative «Co-OPERAtive» einen Musiktheaterabend mit Athener Jugendlichen und minderjährigen Flüchtlingen. Auf den griechischen Film «Strella» über Transmenschen rekurrierte im Februar die gleichnamige Kammeroper von Michalis Paraskakis, indem sie zugleich den Mythos von Ödipus überschrieb. Wie auf der Alternativen Bühne überhaupt griechische Stoffe und Themen eine große Rolle spielen. So ist in Konzerten immer wieder Musik des vor eineinhalb Jahren in Athen verstorbenen Mikis Theodorakis zu hören und widmete sich ein Liederabend im April dem «griechischen Schubert», also den Liedern dieses Komponisten auf antike Sujets.

Die gesamte Reportage von Michael Stallknecht lesen Sie in Opernwelt 5/23