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Instrument des Wahnsinns

Die Glasharmonika

Von Klemens Hippel

Im Jahre 1761 erfand Benjamin Franklin, dem wir auch den Blitzableiter verdanken, dieses ungewöhnliche Instrument. Der Klang von in Schwingungen versetzten Gläsern war schon seit Jahrhunderten bekannt, und mancher Virtuose hatte mit ihm sein Publikum gewonnen. Doch erst Franklin, der während seiner Londoner Jahre solche Konzerte erlebte und davon fasziniert war, kam auf die Idee, Glasglocken verschiedener Größe (und daher mit unterschiedliche Tonhöhe) konzentrisch auf einer drehbaren Walze zu montieren, sodass man nicht mehr den zahlreichen einzelnen Gläsern, sondern nur einem Instrument diese Töne entlocken konnte. 24 Glocken im Halbtonabstand umfasste Franklins Instrument, das demnach einen Tonumfang von zwei Oktaven hatte. Gespielt wurde es durch das Reiben der angefeuchteten Finger am Glas.

Zwei Frauen taten sich bei der Verbreitung der Glasharmonika besonders hervor: Marianne Davies (die ihr Instrument von Franklin persönlich bekommen haben soll), begann bereits 1762 Konzertreisen, die sie u.a. nach Wien führten, wo Leopold und Wolfgang Amadeus Mozart sie hörten. Wolfgang versuchte sich 1771 an der Glasharmonika, und Leopold hätte gerne eine gekauft. Die blinde Virtuosin Marianne Kirchgässner kam 1791 nach Wien – für sie schrieb Mozart dann seine Kompositionen für Glasharmonika. 1808, im Jahre ihres frühen Todes, spielte Kirchgässner auch Goethe vor. Wie schade, dass Mozarts letzte Kammermusik-Komposition, das für Kirchgässner geschriebene Quintett für Glasharmonika, Flöte, Oboe, Viola und Violoncello, so selten zu hören ist!

Das Image des Instruments war allerdings von Anfang an problematisch. «Der gefühlvolle Spieler ist für dies Instrument ganz geschaffen. Wenn Herzblut von den Spitzen seiner Finger träuft; wenn jede Note seines Vortrags Pulsschlag ist; wenn er Reiben, Schleifen, Kitzeln übertragen kann, dann nähere er sich diesem Instrument, und spiele», schrieb Christian Friedrich Daniel Schubart, der Chef-Musikästhetiker der Romantik. Andererseits schränke «der hohle, äußerst melancholische und zur tiefsten Schwermut einladende ... ewig heulende, klagende Gräberton» das Instrument in seiner Verwendbarkeit sehr ein. Oder schlimmer: Der 1804 gestorbene Komponist und Virtuose Karl Leopold Röllig sagte über seine Glasharmonika gar, man solle das Instrument nicht um Mitternacht spielen und sich ihm überhaupt nur bei guter Gesundheit und guter Stimmung nähern. Aufgrund ihrer Spieltechnik wurde sie immer wieder mit Nervenschäden in Verbindung gebracht. Und mancher mutmaßte gar, Beethoven habe sich eine Bleivergiftung beim Spielen der damals aus Bleiglas hergestellten Glasharmonika zugezogen.

Ein ideales Werkzeug in einer Zeit, in der Nervenschwäche und ein Faible für Jenseitiges zum guten Ton gehörten. «Für jedes Mädchen von einiger Erziehung wäre es höchst unschicklich gewesen, nicht auf passable Weise in Ohnmacht zu fallen», wenn eine Glasharmonika erklang, lässt E.T.A. Hoffmann seinen Kapellmeister Kreisler sagen. Dass das Instrument mit besonderen Bewusstseinszuständen in Verbindung gebracht wird, hat insbesondere Franz Anton Mesmer ausgenutzt: Der war, wie Leopold Mozart in einem Brief schreibt, der einzige in Wien, der gelernt hatte das Instrument zu spielen. Er verwendete seine Glasharmonika zur Behandlung von Patienten.

Als Gaetano Donizetti dann 1835 die Glasharmonika wählte, um der Wahnsinnsszene in «Lucia di Lammermoor» die richtige Stimmung zu verleihen, war das Instrument eigentlich schon lange wieder aus der Mode gekommen. Und daran konnte auch Donizetti nichts mehr ändern - meist spielen Flöten die für die Glasharmonika komponierten Passagen. Wie sehr das authentische Instrument zur gruseligen, jenseitigen Stimmung beiträgt, ist erst seit wenigen Jahren wieder gelegentlich zu hören.