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Filme und Serien #3

The Deuce; Fikkefuchs

Milieuhaft menschelnde Herzlichkeit

Die neue HBO-Serie „The Deuce“ mit Maggie Gyllenhaal und James Franco

Gleich am Anfang schnappt die Falle zu. Lori (Emily Meade) aus Minnesota ist gerade mit ihrem Köfferchen und unternehmungslustig aufgeworfener Oberlippe in New York aus dem Zug gestiegen, da steht auch schon ihr zukünftiger Lover und Geschäftspartner vor ihr auf der Rolltreppe: hautenger Anzug, polierte Schuhe und – als scharfes Extra – Spazierstock mit Silberknauf. C.C. (Gary Carr) ist ein formvollendet charmanter Zuhälter, der gezielt nach Mädchen vom Lande Ausschau hält, bei denen er sich mit einer Mischung aus ewigem Kleinfamilienbeziehungsversprechen und eisernem Sklavenhändlergriff unentbehrlich macht. Schon nach dem ersten gemeinsamen Frühstück wird er Lori auf die Deuce schicken, jenen nachtaktiven Abschnitt der 42 Street, der der neuen HBO-Serie von George Pelecanos und David Simon ihren Namen leiht.

Die Macher der geradezu soziologisch das Großstadtbiotop von Baltimore durchforstenden Serie „The Wire“ erforschen diesmal das Genre des Historienfilms. „The Deuce spielt in den 1970er Jahren, zu einer Zeit also, als New York City noch ein schmuddeliger Moloch war, Häuser leer standen und verfielen, sogenannter „Abschaum“ herumlungerte und sich die Zeit mit Pferdewetten vertrieb, als Huren knöcheltief im Bordsteinmüll wateten und die Polizei mit Drogen- und Prostitutionsrazzien alle Hände voll zu tun hatte. Einer der größeren Bögen der Serie erzählt, wie Mafia, Verwaltung und Polizei gemeinsam die Stadt „aufräumen“, die Nutten von der Straße holen und in neu eröffnete „Massagesalons“ und Bordelle stecken, während peu à peu Homosexualität und Pornografie legalisiert werden. Alle lassen sich schmieren, alle profitieren. Zumindest wenn sie straighte weiße Männer sind.

Vincent Martino etwa, ein fleißiger, nicht übertrieben gescheiter US-Italiener, weiß gar nicht, wie ihm geschieht, als ihm ein halbseidenes Etablissement nach dem anderen zur Leitung übertragen und er unversehens vom Barkeeper zum Bordellbetreiber promoviert wird. James Franco verkörpert den hübschen Main-Character angenehm leer und menschenfreundlich; zum Ausgleich darf er auch noch Vincents Zwillingsbruder Frankie spielen, der ihm wie ein Ei dem anderen gleicht, nur ohne moralischen Kompass. Während Vincent, Frankie und ihrem Schwager Bobby der Aufstieg im Sexgeschäft zufällt, muss die weibliche Hauptfigur Eileen wahre Sisyphosarbeit leisten, bis sie am Ende der Staffel auf einem langsam ergrünenden Zweig landet: Als Einzige der zahlreichen liebevoll porträtierten Sexarbeiterinnen besucht sie regelmäßig ihren Sohn, der bei der Großmutter aufwächst, schafft ohne Zuhälter an und plant strategisch ihren Ausstieg aus dem Straßenstrich bei gleichzeitiger Unternehmensgründung als Pornoproduzentin. 

Maggie Gyllenhaal, die „The Deuce“ mitproduziert hat, zeigt mit ihrer Eileen die widersprüchlichen Seiten des Sexgeschäfts: Obwohl ihre laszive Sexiness die Möglichkeit durchscheinen lässt, dass ihr das Business sogar Spaß machen könnte, sieht man immer auch einen geschundenen Körper, ein erschöpftes Gesicht, eine traurige Seele. Dass am Anfang vieler Strichkarrieren häuslicher Missbrauch steht, wird mehrfach angedeutet. 

Auch die oft nur episodischen Schicksale von Darlene, die ihrer minderjährigen Cousine aus den Südstaaten eine „Modelkarriere“ in New York verspricht, von Ashley, die nach Loris Ankunft bei C.C. nichts mehr zu lachen hat, vom lesbischen Hurenpaar, das gemeinsam die Freier beklaut, und von der üppigen Ruby, die ein Freier aus dem Fenster stößt und tötet, werfen immer wieder die Frage auf, warum sich die Frauen die Gewalt, die Abhängigkeit, die Risiken bloß antun. 

Dass dies eine ganz und gar privilegierte Frage ist, zeigt sich schon daran, welche Figuren sie in der Serie selbst explizit stellen. Zum einen ist es die schöne Studienabbrecherin Abby (Margarita Levieva), die aus Protest gegen ihr Upperclass-Elternhaus in Vincents Bar anheuert und den Mädels auch mal mit Schecks von Papa zum Ausstieg verhelfen will. Zum anderen die gebildete schwarze Journalistin Sandra (Natalie Paul), ein Angela-Davis-Lookalike, die bei einer Recherche im Dienst der Emanzipation zusammen mit Polizist Chris (Lawrence Gilliard Jr.) auf die größeren Ausbeutungszusammenhänge stößt, die den Großpuff New York zusammenhalten. Kapital oder Bildung: In der Regel verfügen die Sexarbeiterinnen über keins von beidem.

Trotz solch intelligent gesetzter Reflexionsmomente profitiert „The Deuce“ natürlich auch vom Sex als Selling Point – in einer der ersten Folgen ist sogar, für US-Verhältnisse ungewöhnlich, eine echte Erektion zu sehen – , und von einer milieuhaft menschelnden Herzlichkeit, die selbst in den übelsten Freiern, Zuhältern und Immobilien-Mafiosi aufscheinen darf. Ein weiterer Grund für die Girls, sich „das“ anzutun. 

Wer einmal den Pimps beim Fachsimpeln über die „strawberry week“ a.k.a. Monatsblutung gelauscht hat, muss sie einfach lieben. 

Eva Behrendt

↓ Tipp 2

Film: Fikkefuchs

Gäbe es die „Fälle“ Weinstein und Spacey nicht und in der Folge das mediale #MeToo-Dauergewitter, ein Film wie „Fikkefuchs“ wäre unter Ausschluss einer größeren Öffentlichkeit erschienen und schnell wieder von der Bildfläche verschwunden. Stattdessen wird er in den „Leitmedien“ rezensiert. Für Tobias Kniebe in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 15.11. lautet das Resümee: „’Fikkefuchs’ ist der lustigste und womöglich auch der wichtigste deutsche Film des Jahres.“ Bert Rebhandl hingegen urteilt am 16.11. in der „Frankfurter Allgemeinen“: „Rocky und Thorben sind vermutlich die zwei trostlosesten Ableitungen aus einer hypersexualisierten Medienwelt, die man sich denken kann.“ Und Moritz von Uslar beendet seine Kritik in „Die Zeit“ vom 16.11. mit der Frage: „Wer will einen ganzen Kinoabend mit diesen Typen verbringen?“

Wer mitreden, wer zudem begreifen will, wie unsere vermedialte Welt funktioniert, sollte sich das anschauen. Paradoxerweise trägt der Film jedoch zur aktuellen Debatte inhaltlich nichts bei. Er ist nur zufällig in diesem Moment erschienen und wird in den allgemeinen, inzwischen ausufernden Sexismus-Diskurs gezerrt.

Was gibt es zu sehen in „Fikkefuchs“? Zwei tolle Schauspieler. Ein paar schräge erkenntnisträchtige Szenen, in denen man mehr begreift über das, was man schon immer nicht über Sexphantasien von Männern erfahren wollte, als durch eloquenteste kultursoziologische Essays. Aber es überwiegt doch eine ungelenke Harmlosigkeit von Buch, Regie und Kamera. Dabei ist es ja erst einmal sympathisch, dass ein eingeschworenes Team dank Crowdfunding soviel Geld zusammenbringt, mit dem man independent und mit einfachen Mitteln einen 100 Minuten-Film raushauen kann, um endlich mal ohne Anstalts-Gouvernanten und Förder-Instanzen zu erzählen, was man schon immer erzählen wollte und „was ja wohl mal gesagt werden darf“...

Doch was wird dann tatsächlich erzählt? Noch ein Road Movie im beliebten Berliner Großstadt-Dschungel. Thorben (herrlich spätpubertär starrköpfig und nur auf den Schwanz fixiert: Franz Rogowski) ist ein durch Internet- und Porno-Sucht konditionierter Mittzwanziger, wegen versuchter Vergewaltigung an einer Drogerie-Verkäuferin in der Psychiatrie. Er flieht per Anhalter nach Berlin, wo sein vermeintlicher, bislang jedenfalls ungekannter Vater lebt, ehemals der größte Stecher von Wuppertal, der sich, so die mütterlicherseits kultivierte Legende, in einer Bar nur mal ans Klavier setzen musste und französische Chansons trällern – und dann jede kriegte.

Dieser Richard/Rocky steht kurz vorm Fünfzigsten und vorm Prostata-Krebs-Tod (abgrundlos lakonisch gespielt als schmerbäuchiger Langhaarfreak von Regisseur und Co-Autor Jan Henrik Stahlberg). Er lebt von nichts – jedenfalls erfährt man nicht, wovon – in einer typischen, etwas abgerissenen Berliner Altbauwohnung. Tagsüber schreibt er im Co-Working-Space an seinen Erinnerungen, den „Memoiren eines Frauenverstehers“. Diese Aufzeichnungen beginnen damit, wie er als siebzehnjähriger Rettungsschwimmer auf der griechischen Insel Ikaria mit Hilfe der sprichwörtlichen blonden Schwedin lieben und ficken lernte. Seitdem ist er „dem anderen Geschlecht verfallen“.

Thorben drängt sich Rocky auf und belagert seine Wohnung, seinen Alltag mit Hund und einsamen Tierfilm-Abenden, sein in die Vergangenheit geordnetes Leben. Zu Anfang sind sie nur feindlich Fremde, später wird Rocky Thorbens Lehrmeister in Sachen „Flachlegen“, und am Ende sind beide ziemlich beste Freunde, feuchtfröhlich vereint in der gemeinsamen Suche nach dem nächsten – nein, nach überhaupt wieder mal einem Fick. Das ist schlicht. Meist sehr trivial. Und durchweg trist.

Da beide keine Adonisse sind, ist ihr manisch machohaftes Rumrödeln entsprechend erfolglos. Schließlich landen Rocky und Thorben in einem Workshop für Männer, die Frauen erobern und durchknallen wollen, aber nicht wissen, wie. Dort geraten sie an die geschäftstüchtige Mrs. Wilson. Die zeigt ihnen und ihren Leidensgenossen, dass ihre früher ja durchaus erfolgreiche Triebhaftigkeit behindert wird durch jenen neuzeitlichen, feministisch infiltrierten Wunsch, es einer Frau in allen anderen Bereichen recht machen zu wollen, bevor Mann schließlich Das Eine bekommt. Auch das ist: schlicht. Der Erfolg des Workshops stellt sich ein, sobald ein Auserkorener – in diesem Fall Rocky – eine Blondine erobert. Vermeintlich geschieht das im echten Leben, doch tatsächlich ist die Dame eine bezahlte Angestellte der Coacherin. Nur eine Edel-Nutte. Noch schlichter.

Die Zuschauer werden überdies durch alle Klischee-Plätze Berlins geschleift: Discos, Swinger-Clubs, Strandbars an der Spree, Kiez-Kneipen, Easy-Jet-Counter... Aber das hat weder den Charme von Jan-Ole Gersters „Oh Boy“ noch die formalästhetische Angestrengtheit von Sebastian Schippers „Victoria“ (wo Rogowski ebenfalls mitspielte).

Auch sonst liebt die Regie leider in unklarer Weise Klischees. Philosophiert Rocky über die Schönheit DES (nicht seines) Schwanzes, isst er dabei lautselig und zeigefingerisch eine Knackwurst. Sind die beiden Suffköpfe durch die Nacht gezogen und fahren beduselt im Taxi nach Hause, kotzt Rocky auf die Ledersitze; und als Thorben ihn, verkotzt und verschissen, endlich in die heimische Badewanne gehievt hat, göbelt der Sohn dem Papa auf die Halb-Glatze (die, wir sind ja in einer Komödie, eine ab- und er-sichtlich schlechte Perücke ist).

Das Problem für „normale“ Zuschauer, die nicht ins Kino gehen, um im Medien-Gemetzel up to date zu bleiben: „Fikkefuchs“ stammt aus dem geistigen Setzkasten des Männer-Stammtisches – und führt nie darüber hinaus. Das ist selten zum Lachen. Viel öfter zum Gähnen. Schade um den Stoff.

Michael Merschmeier