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Rezensionen 6.10.

Meyer nach O’Neill «Der haarige Affe» in Frankfurt

Am 8., 19., 28., 31. Oktober, 1., 24. November im Schauspielhaus

Da stehen sie nun, Auge in Auge: Die Frau im weißen Paillettenoverall, die Fledermausärmel wie Engelsflügel ausgebreitet, eine schillernde Lichtgestalt – und der Mann, breites Kreuz, Tribal-Tattoos, verrußtes Gesicht. Seine Kollegen mutmaßen, die Liebe habe ihn getroffen, doch Yank selbst wird später sagen, er habe sich nicht verliebt, sondern verhasst in diese Frau, die sich erdreistete, in sein Reich einzudringen und ihn zu demütigen mit ihrem Blick. 

Fortan ist der Heizer Yank nicht mehr eins mit seiner maschinenstampfenden, meeresschlingernden, testosterongetränkten Welt, fortan ist er gebrochen. Für das Schauspiel Frankfurt hat der Autor Clemens Meyer – zurzeit Stadtschreiber im Frankfurter Stadteil Bergen-Enkheim und bekannt für sein Interesse an gesellschaftlichen Randfiguren – Eugene O’Neills «Der haarige Affe» überschrieben, ihn verzeitgenössigt, auf heutige Konflikte zugeschnitzt und ihn in einen ganz eigenen, spielerischen Rhythmus versetzt. Er zitiert Pegida und Barack Obama, stellt dem so ehrlichen wie verlorenen Arbeiter aber auch andere haarige Outlaws wie King Kong zur Seite. Popkulturelle Leichtigkeit und diskursive Schwere lösen sich ab, versetzt mit englischen Textbrocken und zahllosen zweisprachigen Kalauern à la «with a blink of an eye ist alles vorbei».

Bei O’Neill wie in der Inszenierung von Thomas Dannemann wird der Luxusdampfer zum Symbol für Gesellschaftsstrukturen: Im Unterdeck schuften die Heizer, die Abgehängten, die ihre eigenen Rituale pflegen, zwischen Saufen, Raufen und Schippen aber auch die Verfasstheit der Welt debattieren. Unter ihnen sind Long – mit fiebriger Unrast gespielt von Stefan Graf –, einer, der von links nach rechts schwankt, zwischen Ansprachen an die «Genossen» und Hitlergruß, zwischen Kapitalismuskritik und «Lügenpresse»-Rufen. Der irre Ire Paddy, der sich nach vorindustrieller Seefahrt sehnt (Michael Schütz). Und natürlich Yank, der heimliche Herrscher, den André Meyer als veritablen Proll gibt, schwerfällig, großmäulig, grüblerisch. Stéphane Laimé hat einen tollen Bühnenraum geschaffen: Ein Teil des Publikums sitzt auf der Bühne, zwischen ihm und dem Zuschauersaal erhebt sich das Schiff aus der Unterbühne, ein dreigeschossiger Querschnitt samt Ober-, Zwischen- und Unterdeck.

In diesem Ding sind Rhythmus und Freude, heißt es einmal, und Dannemann nimmt dies als Vorlage für atmosphärische Szenen: Auf dem Zwischendeck schaffen drei Perkussionisten und ein Elektro-Musiker rollende Rhythmen und stimmen mit den Heizern übermütige Gesänge an (Komposition: Michael Wertmüller). Diese Szenen in dieser Unterwelt sind die stärksten des Abends, schillernd zwischen Zeiten und Räumen, mit heiterer Lakonie kommentiert und begleitet von Katharina Linder als Conférencier. Nach der Konfrontation der beiden Welten, nachdem die millionenschwere, gelangweilte, sozial bewegte Erbin Mildred ihre Neugier ins Unterdeck trieb, dorthin, wo sie nicht hingehört, wird es leiser, das Ende des «haarigen Affen» schnell und unaufgeregt erzählt. Nachdem das Schiff für immer im Bühnenboden versank, bleiben weite Leere und Unbehaustheit – ein Spiel der Räume, das Laimé auf der gewaltigen Großen Bühne des Schauspielhauses übrigens ähnlich schon 2004 trieb, in Jan Bosses Inszenierung von Bernhards «Am Ziel».

Esther Boldt

https://www.schauspielfrankfurt.de/spielplan/der-haarige-affe/2679/