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Rezensionen 28.9.

nach Kafka «Kafkas Haus» in Saarbrücken

Am 28. September, 16. und 26. Oktober, 16., 17. November, 5. Dezember im Staatstheater

Ein Herrenanzug auf einem Tisch. Sechs Männer und eine Frau, allesamt stummfilmhaft geschminkt und in weißer Feinripp-Unterwäsche, zupfen an ihm herum, bringen ihn allmählich zum Tanzen. Dann stülpen sie den Anzug einem von sich über, dem staunenden jungen Mann mit der Stirnlocke. Und im Handumdrehen ist er zum Protagonisten in Kafkas Erzählung «Das Urteil» geworden, der am Tisch sitzend einen Brief an seinen fernen Freund zu verfassen versucht. Dabei führen ihm die miteinander verschmolzenen restlichen Akteure wie einer Marionette die Hand, grübeln und streiten mit ihm. Kurz darauf zerbirst die lebende Plastik in verschiedenste Väterfiguren – vom Tattergreis bis zum zackigen Befehlshaber –, die dem Sohn chorgewaltig die Leviten lesen.

Rasch geht es in die nächste Kafka-Erzählung über, und zunehmend verliert man die Orientierung in dem erstaunlichen szenisch-dramatischen Fragment-Labyrinth, das Laura Linnenbaum am Saarländischen Staatstheater aus zahlreichen Kafka-Erzählungen, Briefen und Tagebucheintragungen geknüpft hat. Auf dem Hauptpfad dieses Abend stolpern die Ks (Universalchiffre für alle Anti-Helden Kafkas, sei es Gregor Bendemann, Josef K, Karl Roßmann oder ein anderer), die abwechselnd und in höchst unterschiedlicher Weise von den sieben Darstellern gegeben werden, durch eine unverständliche und absurde Welt. Es braucht keine aktualisierenden Zeitbezüge, um uns sofort sinnsuchend hinterher stolpern zu lassen, leben wir doch rund hundert Jahre später in einer Gegenwart, die immer wieder massiv undurchsichtig wirkt.

Dementsprechend liegt die nur mit Tischen bestückte große Bühne von Valentin Baumeister meist im Halbdunkeln oder Dunkeln. Die experimentellen Klänge von Sounddesigner Fiete Wachholtz tauchen alles in atmosphärische Fremdheit. Faszinierend ist der Strom traumgleicher, die Realität bis zur Kenntlichkeit verfremdender Körper-Bilder und Situationen, in den man durch die ausdruckstarke Gruppe hineingesogen wird: So sieht sich der frisch angeklagte K (bemerkenswert auch hier der stirnlockige Raimund Widra, hohlwangig und mit fahrigen Gesten) einem endlosen Meer von Tischen gegenüber, an denen graue Anzugträger undurchschaubare Tätigkeiten verrichten.

Immer wieder bilden die anderen einen körperlichen Echoraum Ks, verschmelzen zu einer meterlangen Kopulationsmaschine oder wischen sich stellvertretend für K gegenseitig Tränen aus den Augen. Doch wohlig schwelgen lässt sich in diesen Bildern kaum. Jäh werden komische oder zarte Szenen abgebrochen, wie das nur mit einer Taschenlampe beleuchtete Liebesgeflüster zwischen Frieda (Anne Rieckhoff, bodenständig und geheimnisvoll) und K (Philipp Seidler, liebestrunken und mit nacktem Oberkörper) durch schepperndes Tischgezerre.

Je weiter der fast zweieinhalbstündige Abend fortschreitet, desto fordernder wird er: Es gibt lange, nicht gerade leicht zugängliche Monologpassagen, ein Bühnenumbau wird zu einer Session, bei der die Darsteller minutenlang die Tische zu lauter Musik in den dunklen Raum knallen. Spätestens jetzt fühlt man sich ausgesetzt, begibt sich auf die Suche nach einem Zusammenhang oder zumindest Halt – und schon ist man wieder ganz nah bei K.

Natalie Bloch

https://www.staatstheater.saarland/nc/stuecke/detail/kafkas-haus/