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Lehen der Gesellschaft

Präsident Brosda über die wahre Natur der Intendanz

Intendant*innenen, wobei die weiblichen Chefs tatsächlich sehr in der Minderheit sind, haben an den Bühnen eine sehr starke rechtliche und organisatorische Stellung, wenn auch jeweils nur auf Zeit. Halten Sie diese starke hierarchische Position eigentlich noch für zeitgemäß?
Ich halte sie für ein denkbares, auch ausfüllbares Modell. In Hamburg steht es übrigens zwischen Intendantinnen und Intendanten an den staatlichen Bühnen zwei zu zwei. Wir können jemandem relativ viel Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb eines Hauses geben, beschränken aber den Zeitraum der Verantwortung. Oder wir verteilen das auf ein breiteres partizipatorisches Modell. Ich finde, man kann unterschiedliche Modelle ausprobieren, aber ich finde nicht, dass einen das Intendanzmodell per se in Schwierigkeiten bringt. Und wenn Probleme entstehen, dann hat der Rechtsträger Möglichkeiten einzugreifen. Intendanz ist natürlich auch eine Möglichkeit, die Einrichtung in ihrer Freiheit zu schützen, weil die Verantwortung für die Institution auf Zeit an eine Person übergeht. In Hamburg arbeiten wir übrigens mit einer gleichberechtigten Doppelspitze aus künstlerischer Intendanz und kaufmännischer Geschäftsführung. Das sorgt auch schon für Checks and Balances. Es gibt Intendanzen, die ganz wunderbar funktionieren und Häuser künstlerisch prägen …

... unbenommen …
... lassen Sie mich noch einen Satz hinzufügen: Ein bisschen ist so ein Stadttheater wie ein Lehen. Man bekommt es von einer Stadtgesellschaft übertragen – und nach einer bestimmten Zeit nimmt es einem die Stadtgesellschaft auch wieder weg.

Bezeichnenderweise verwenden Sie den feudalherrschaftlichen Begriff des «Lehens». Niemand will den allergrößten Teil der Intendant*innen, die nämlich ihr Haus verantwortungsvoll, seriös und fair leiten, in irgendeiner Weise diskreditieren oder gar schmähen. Leider gibt es aber innerhalb dieses Intendanzmodells mit unschöner Regelmäßigkeit Fälle von Machtmissbrauch und Übergriffigkeit. Wer seine Macht als Intendant*in missbrauchen will, ist nur sehr schwer einzufangen. Diese schwarzen Schafe überleben im System erstaunlich gut. Sie sind nicht unbekannt, werden kaum sanktioniert – weil die Betroffenen ihrer Übergriffe, gedemütigt und beschädigt, wie sie sind, auch aus Angst vor weiteren beruflichen Nachteilen meist vor öffentlichen Reaktionen zurückschrecken –, und diese schwarzen Schafe tauchen, wenn ihr Vertrag nicht verlängert wurde, an anderem Ort immer wieder auf. Das ist ein großes Problem. Da spielt der Bühnenverein durchaus eine Rolle, weil er in sich eine Kontaktbörse für offene Intendanzen und Besetzungen ist. Auch die Presse hat es da schwer, weil man nur in Ausnahmefällen die eidesstattlich unterlegte, zitierbare Aussage bekommt, die gerichtsfest wäre.
Bezogen auf den Bühnenverein eine steile These.

Aber eine zutreffende. Und die Frage ist schon, ob man sich hier nicht noch weitere Kontrollmechanismen überlegen sollte.
Zum einen: Hierarchien gibt es an vielen Stellen. Wo diese ausgenutzt werden, muss man dagegen vorgehen. Und den Begriff des Lehens habe ich zum ersten Mal aus dem Mund einer Verlegerin gehört. Das gibt es auch bei Museen und ehrlicherweise bei modernen Unternehmen. Das berührt also nicht das Theater in besonderer Weise.

Das ändert aber nichts an dem Problem.
Es ändert insofern etwas, als man sich fragen muss, ob man es zum Problem eines bestimmten gesellschaftlichen Bereichs machen möchte – oder ob man sich ehrlich macht und sagt: Das ist ein gesellschaftliches Problem, das wir gesellschaftlich angehen und lösen müssen.

Da das Theater ein Ort ist, um gesellschaftliche Problemlösungen zu debattieren, sollte es vielleicht auch ein Ort sein, der bei der Problemlösung selbst vorangeht.
Unbestritten. Aber das Theater ist vorwiegend ein Ort, der der Gesellschaft die Reflexion ihrer Probleme ermöglicht. Die Kunst hat noch nie auf Bestellung ein gesellschaftliches Problem gelöst, das muss die Gesellschaft schon selbst übernehmen. Sie kann es durch künstlerische Interventionen aufgeklärter tun.

Das gesamte Gespräch mit Carsten Brosda, dem Hamburger Kultursenator und neugewählten Präsident des Deutschen Bühnenvereins, von Dorion Weickmann und Franz Wille lesen Sie in Theater heute 4/2021