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Rezensionen 15. März

Israel Kaunatjiik (mitte), Talita Uinuses und Israel Kaunatjiik (Video), Foto: David Baltzer

Köln: Nuran David Calis «Herero_Nama»

Am 15., 22., 27. März, 6., 13., 14., 18., 30. April im Schauspiel

Es ist ein herber Rückschlag: Zwei Tage vor der Premiere von «Herero_Nama. A History of Violence» wird die Klage auf deutsche Entschädigungszahlungen für den Völkermord in Namibia vor dem New Yorker US District Court zurückgewiesen. Die Enttäuschung ist Nama-Aktivistin Talita Uinuses und Israel Kaunatjike, der hier die Herero vertritt, anzumerken. Mit leisen, ganz untheatralen politisch-biographischen Statements eröffnen sie im Depot Zwei des Schauspiels Köln eine Auseinandersetzung, die hierzulande viel zu lange hartnäckig verweigert wurde. Die Klage sei mehr politisches Statement als Realpolitik, dennoch werde man in Revision gehen, berichtet Uinuses. Während sie spricht, Englisch ohne Übertitelung, beginnen die anderen Mitspieler Fotos aus der Kolonialzeit zu sichten, halten sie in die Live-Kamera, kommentieren sie später. Dieses Format der historisch-gesellschaftspolitischen Tiefenbohrung hat Regisseur Nuran David Calis seit «Die Lücke», seinem Projekt über den rechtsterroristischen Anschlag des NSU auf die türkische Community in der nahegelegenen Keupstraße, kontinuierlich weiterentwickelt. Es besticht auch dieses Mal durch sperrige Offenheit und den Mut zu unversöhnlichen, hilflosen Momenten.

Düster, eng und christlich-missionarisch geht es auf der Bühne zu, gedämpftes Licht fällt durch zwei hohe Kirchenfenster und schlägt rote, blaue, gelbe Schneisen in den Nebel. Hier entwickeln die Aktivist*innen zusammen mit drei Schauspieler*innen und dem Kulturanthropologen Julian Warner einen Nachhilfe-Parcours für eine notorisch vergessliche Nation: Schauspielerin Shari Asha Crosson konnte lediglich ein Schul-Geschichtsbuch finden, das «Deutsch-Südwest» überhaupt thematisiert, leider ein Prachtexemplar kontextfreier, unverständlicher Aufgabenstellung ohne Lerneffekt. Kein Wort davon, dass deutsche Soldaten 90.000 Menschen Anfang des 20. Jahrhunderts auf dem Gebiet des heutigen Namibia gezielt getötet oder in die Wüste getrieben haben, wo sie verdursteten. Kein Wort vom ersten deutschen «Konzentrationslager», in dem sich Gefangene zu Tode arbeiteten, in dem Frauen die Schädel der Toten auskochen und abschaben mussten, um sie zur «Rasseforschung» nach Deutschland zu schicken – wo sie bis heute sind.

Alle diese Fakten fliegen einem nun in «Herero_Nama» nur so um die Ohren. Im Gegensatz etwa zum heftigen Clash pro und contra Erdogan in «Istanbul», Calis’ Erkundung türkischen Nationalgefühls 2017, fehlt hier allerdings der politische Konflikt. Daran, dass die Kolonialverbrechen zwischen 1904 und 1908 ein Genozid waren oder dass Entschädigungen dringend geboten sind, gibt es keinen Zweifel. Doch dafür hätte man im Gegenschnitt ein Mitglied der Bundesregierung casten müssen. Stattdessen eskaliert der Abend an der Frage der Repräsentation. Yuri Englert, Stefko Hanushevsky und Shari Crosson geben sich bemüht ungeschickt Mühe, ein bisschen theatrale Einfühlung fürs Publikum zu zaubern. In Kolonialklamotten performen sie hinter weißen Masken einen widerwärtig bürokratischen Briefwechsel der deutschen Besatzer über die «richtige» Art des Auspeitschens. Gegen eine solche Re-Inszenierung des Leidens zwecks Katharsis fürs mehrheitlich weiße Publikum wehren sich Kaunatjike, Uinuses und Warner vehement. Sie fordern vom Publikum schlicht Begreifen statt Einfühlung.

Um diesen Widerspruch zu begreifen, führt Warner den sozialwissenschaftlichen Begriff «Kolonialität» ein: «Das bedeutet, die Struktur des Kolonialismus überlebt den historischen Kolonialismus.» Kolonialität habe sich, so die These, historisch ins allgemeine Bewusstsein eingeschrieben. Sie präge unseren Zugang zur Welt und unsere Institutionen bis heute grundlegend. Vor diesem Hintergrund wird im letzten Teil ganz ohne Darstellerei über strukturellen Rassismus – unter anderem am Theater –, über Entschädigung, Entwicklungshilfe und die Rückgabe geraubter Kulturgüter und Gebeine diskutiert. Spannend ist dabei die Frage, wie eine Wiedergutmachung aussehen könnte, die nicht selbst gefährliche nationale oder tribalistische Kategorien beinhaltet und weiterführt. Nach zwei Stunden Frontal-Input fällt es zunehmend schwer, mit auf das fraglos sinnvolle und kluge Reflexionslevel zu klettern. Calis und sein Team wollen alles: alles erklären, alles aus allen Blickwinkeln beleuchten, alles in alle Köpfe kriegen. Das ist konsequent, bringt diesen wichtigen Abend aber hart an die Grenze zwischen Fordern und Überfordern.

Cornelia Fiedler

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