Rezensionen 15. März
Düsseldorf: Schreier «Schade, dass sie eine Hure war»
Am 17. März im Opernhaus
Im Orchestergraben lachen die Dämonen. Zur dissonanten Fratze entstellt die Streichermotive im Anapäst-Rhythmus; ein zynisch zischender Klang, gespickt mit jähzornigen Akzenten. Und mitten in die plötzliche Stille stammelt Annabella eine atonale Melodie: «Unser Kind, die Ausgeburt des Teufels.» Wahnsinn!
So faszinierend es Anno Schreier im fünften und letzten Akt gelingt, den Neutöner-Wahnsinn keimen, sprießen und wüten zu lassen, so überzeugend wechseln in den vier Akten zuvor Belcanto-Liebesschmelz und Verdi-Dramatik, Schlager und impressionistisches Schwärmen ab. Fast jeder Sound, jede Szene scheint einem irgendwoher bekannt vorzukommen. Und so ist es auch gedacht. Eine Oper über die Oper wollten Anno Schreier und Librettistin Kerstin Maria Pöhler schreiben. Dazu haben sie mit «Schade, dass sie eine Hure war» ein 400 Jahre altes Theaterstück des Shakespeare-Zeitgenossen John Ford ausgegraben, das ihrer Ansicht nach alles enthält, was ein guter Opernstoff braucht: skandalöse Liebe, Intrigen, deftige Rollen(-klischees) und Extremismus. Im Zentrum steht die inzestuöse Liebe zwischen Giovanni und Annabella, umsponnen von einem Netzwerk macht- und liebeshungriger Hochzeitsanwärter. Als Annabella von ihrem Bruder schwanger wird, zwingt Vater Florio sie zur Hochzeit mit dem Edelmann Soranzo. Giovanni, von Eifersucht getrieben, ermordet seine eigene Schwester, es kommt zum Showdown. Am Ende sind (fast) alle tot.
Schreiers Komposition funktioniert dabei wie ein DJ-Set. Aus den Klängen von über 400 Jahren Operngeschichte greift er sich jeweils den heraus, der für den jeweiligen Moment am besten erscheint. Der Neuigkeitsgehalt dieser Musik steckt also weniger in der Klangsprache selbst als in der raffinierten Collage scheinbar widersprüchlicher Bausteine.
Regisseur David Hermann springt auf diesen Zug auf, würfelt Bühnenbild und Kostüme karnevalesk durcheinander, dreht Kulissen mit der Rückseite zum Publikum. Soranzo (gekonnt changierend: Richard Šveda), ein Geschäftsmann im schicken Anzug, schmiedet Intrigen in einem grellweißen Designer-Kubus. Der Macho Bergetto (heldenhaft strahlend: Florian Simson) tänzelt als Schönling im rosafarbenen Rokkoko-Kostüm herein, um die Frauen mit italienischem Arien-Gersülze zu beeindrucken. Annabella (Lavinia Dames) flüchtet sich derweil mit ihrem Bruder in eine bunte Märchenwelt, spielt im Schlafanzug Fangen unter einem riesigen Fliegenpilz.
Dieses Wirrwarr unterschiedlicher Ebenen funktioniert, weil Szene und Musik famos ineinandergreifen. Wenn Annabella von der Fliegenpilz-Balustrade herab Soranzo abblitzen lässt, kichert es hämisch im Holz. Der Edelmann Soranzo tritt in der musikalischen Verkleidung einer frühbarocken Pavane auf, doch dissonante Schwebeklänge verraten zunehmend seine Wut. Dramatik, Tempo und Witz dieser Musik werden von allen Beteiligten fabelhaft gemeistert. Die Düsseldorfer Symphoniker unter der Leitung von Lukas Beikircher jagen mit scheinbar müheloser Vitalität durch alle rhythmischen und dynamischen Gemeinheiten der Partitur, ohne dabei das famose Sängerensemble zu überdecken. Lavinia Dames in der Rolle der Annabella zeigt sich als begnadete Schauspielerin und extrem vielseitige Sängerin, kraftvoll in dramatischen Arien, lyrisch in Rezitativen. Jussi Myllys als Giovanni fehlt es etwas an Brillanz, nicht aber an Wärme und melancholischem Schmelz, das restliche Sängerensemble samt Chor: durchweg wunderbar.
Echte Betroffenheit bleibt am Ende trotz starker Bilder und dramatischer Szenen aus. Zu offensichtlich ist die Künstlichkeit des Theaters durch das omnipräsente Spiel mit dem Spiel. Und doch wirkt die Jonglage wie ein Befreiungsschlag. Anno Schreier und das Regieteam zeigen mit «Schade, dass sie eine Hure war», dass gute Unterhaltung und inspirierende Komplexität keinen Widerspruch darstellen müssen, solange alle Beteiligten ihr Handwerk beherrschen. Großer Jubel.
Thilo Braun