Rezensionen
Berlin, Graz, Leipzig, Wien
Berlin: Mark St. Germain «Die Tanzstunde»
Bis zum 25. Februar in der Komödie am Kurfürstendamm
Was für ein Haus, was für eine Tradition – und doch ist im Mai finito. Nach jahrelangem Hickhack müssen Theater und Komödie am Kurfürstendamm dem Umbau weichen und beziehen übergangsweise im Schillertheater Quartier. «Wo wir alle zigmal reinpassen», wie der Schauspieler Oliver Mommsen beim Schlussapplaus verkündet, um sodann an die Publikumstreue zu appellieren: «Ziehen Sie mit uns an die Bismarckstraße!» Aber sobald die Koffer gepackt sind, ist all das Vergangenheit, was jetzt noch in Schwarzweiß die abgeschabten Foyer-Wände ziert: Von Curd Jürgens bis Harald Juhnke, von Elisabeth Bergner bis Katharina Thalbach geben sich da Theaterhelden und -diven ein Stelldichein, die einst voller Inbrunst den Boulevard bespielten. Mommsen und seine Kollegin Tanja Wedhorn machen diesen Ahnen alle Ehre, wenn sie in Martin Wölffers Regie mit reinem Unterhaltungsstoff hantieren und ihm doch die eine oder andere tiefere Wahrheit entlocken.
Die 2014 uraufgeführte «Tanzstunde» von Mark St. Germain ist ein Volltreffer à la «Ein ungleiches Paar». Und das ist die Story: Senga Quinn war als Musical-Tänzerin engagiert, bis ihr Knie mit einem Taxi kollidierte. Ob sie je wieder auf die Bühne kann, wissen allein die Götter in Weiß. Ever Montgomery wiederum wohnt ein paar Apartments weiter, ist Professor der Geowissenschaft und sieht einer wichtigen Preisverleihung entgegen. Aber was andere erträumen, ist für ihn der Alptraum schlechthin: Hände schütteln, sich auf die Schulter klopfen, womöglich auch noch umarmen lassen – da lodert die Hölle auf Erden! Denn der bebrillte Klemmi ist Autist, erträgt keinerlei Berührung und muss natürlich trotzdem ein paar Tanzkringel aufs Gala-Parkett zaubern können. Weshalb er seine krisengebeutelte Nachbarin um eine (gut dotierte) Tanzstunde bittet… auf die natürlich viele weitere folgen.
Denn das Genre will es, dass die beiden einander näherkommen, ja sich bis zum Lippen-, Haut- und Genitalkontakt vorarbeiten. Nicht was da geschieht, sondern wie es geschieht, ist bemerkenswert. Denn streckenweise lässt sich der Text ganz und gar ausblenden, so mitteilungsfreudig ist die nonverbale Kommunikation, in der sich das Duo verheddert. Sie vollbringt trotz Krücke und Beinschiene wahrhaft körperberedte Wunder – eine Frau, die Lust und Frust mit allen Sinnen erfährt und gewährt, und sei ihr Bewegungsapparat noch so lädiert. Er dagegen haust in seiner Leiblichkeit wie in einer Tiefkühltruhe, die jeden Moment zu explodieren droht: Schultern hoch, Hände in Habachtstellung, Rücken kerzengerade, Blick gesenkt – Ever Montgomery tritt der Welt als wandelnde Barrikade entgegen, von der etwas berechenbar Unberechenbares ausgeht.
Es gibt kein Happy End, und auch kein Trostpflaster in Form eines windelweichen Zukunftsversprechens. Aber immerhin rütteln beide zuletzt an ihren ganz persönlichen Tabus: Er kann ein Streicheln genießen, sie den Bühnenabschied ins Auge fassen. Tanz ist eben ein ziemlich guter Katalysator für alle erdenklichen Metamorphosen. So gesehen ist es nur logisch, dass «Die Tanzstunde» demnächst mit dem Theater den Standort wechselt – und ab Herbst an der Bismarckstraße stattfindet.
Dorion Weickmann
https://www.komoedie-berlin.de/produktionen/die-tanzstunde-2.html
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Graz: Tschaikowsky «Eugen Onegin»
Wieder am 3. & 9. Februar sowie am 4. & 23. März an der Oper Graz
Karl Kraus spitzte seine Feder gerne gegen Gleichberechtigung: «Emanzipierte Frauen gleichen Fischen, die ans Land gekommen sind, um der Angelrute zu entgehen», vermerkte er. Bei den Grazer Bühnen käme er mit diesem Aphorismus kaum an, denn diese führen seit Jahren den Beweis, dass das weibliche Geschlecht auch in früheren Männerdomänen keineswegs den Erstickungstod erleidet. Oper und Schauspielhaus sind fest in Frauenhand – als Intendantin der Ersteren machte zunächst die Wienerin Elisabeth Sobotka Furore; vor zweieinhalb Jahren übernahm die Bernerin Nora Schmid. Nun ist auch die Bastion des Obersten im Graben gefallen – im Herbst folgte Oksana Lyniv aus der Ukraine, vormals Assistentin Kirill Petrenkos in München, dem nach Bonn gewechselten Dirk Kaftan als Chefdirigentin.
Beim Schlussapplaus erscheint eine kleine, zarte Frau – dem neben ihr stehenden Sänger des Onegin reicht sie gerade mal bis zur Brust. Doch nichts wäre falscher als das Diminutiv «Persönchen». Denn Oksana Lyniv entwickelt am Pult eine faszinierende Energie, ohne je zu laut oder gar derb zu werden. Sie spannt die Musik quasi von innen her bis zum Möglichsten, ohne dass je der Faden reißt. Sorgsam graviert sie feinste Details; nie übertönt sie die Sänger, inspiriert diese im Gegenteil immer wieder auch zu leisen Tönen. Ein überzeugendes Debüt.
Auch die Inszenierung liegt in Frauenhand. Schnörkellos, ohne alle russische Fake-Folklore, geht die Holländerin Jetske Mijnssen ans Werk. Wände aus hellem Holz und eine lange Tafel sind die Grunedelemente von Gideon Daveys Bühnenbild, in dem das Geschehen beinahe nach dem aristotelischen Prinzip der Einheit von Raum und Zeit vor sich geht. Mijnssen kommt es vor allem auf die Beziehung Onegin-Tatjana an, in die sich spontane Liebe schmiegt, die jedoch von der Bindungsangst des Titelhelden neutralisiert wird. Mijnssen belässt die Balletteinlagen im Graben, setzt szenisch auf schlichtes Spiel ohne große Tanzattitüde. Ansichtssache bloß die Fürst-Gremin-Armada in Rollstühlen, wenngleich der dahinter stehende Gedanke akzeptabel scheint: Durch ihre erfolglose déclaration d’amour hat Tatjana sich gesellschaftlich unmöglich gemacht; es bleibt ihr bloß die pflegende Gemeinschaft mit einem (Kriegs-)Krüppel. Das Wiedersehen mit Onegin scheint durchaus zur körperlichen Nähe zu führen, bloß ändert dies nichts an Tatjanas Entscheidung für Gremin.
Unter Oksana Lyniv dürfen die Sänger ihr gesamtes technisches Rüstzeug abrufen, können mit feinen Piani und Mezza voce brillieren – wovon vor allem Pavel Petrov als Lenski in seiner Abschiedsarie Gebrauch macht. Aber auch Oksana Sekerina als Tatjana bereichert ihre Briefszene damit, reißt am Ende freilich zu Ungunsten der sonst schön durchgestalteten Linie die Höhe etwas zu sehr auf. Dariusz Perczak gibt einen gepflegten Onegin, mit viel Gefühlspotenzial hinter vermeintlicher Arroganz. Alexey Birkus ist ein zuverlässiger Gremin; auf gutem Niveau auch die anderen. Das Publikum reagiert enthusiasmiert.
Gerhard Persché
Leipzig: E. L. Karhu «Prinzessin Hamlet»
Am 03. und 20. Februar im Schauspiel/Diskothek
Auf Grau folgt Weiß, dann Pink, Hellrosa, Türkis und Blau. Die Bühne von Josa Marx erinnert an eine Bonbonschachtel, und die fünf Marilyns, die in dieser Bonbonschachtel liegen, sind mit ihren Kleidern perfekt darauf abgestimmt – so perfekt, dass sogar die Farbwechsel der liegenden Figuren in die Kunstseidekleider eingearbeitet sind. Das Ikonische der Marilyn legt zugleich die erste Spur: berühmt, verehrt und trotz allem (oder deswegen) suizidal. Dabei handelt dieser Abend gar nicht von Marilyn, sondern der titelgebenden Prinzessin Hamlet, ein Stück der finnischen Autorin E. L. Karhu, das in der frisch eröffneten neuen Nebenbühne Diskothek des Schauspiel Leipzig zu sehen ist. Aus dem ehemaligen Probenraum unterm Dach ist das Schauspiel nach langem Umbau in die ehemalige Diskothek direkt am Innenstadtring gezogen, was auch akustisch deutlich wahrnehmbar ist. Dafür ist dank neuer Raumhöhe die Luft auch nach einer Stunde noch sauerstoffreich.
«Ich bin nicht Hamlet», eröffnet eine der bald schon gar nicht mehr schlafenden Schönheiten (Andreas Dyszewski, Alina Katharin Heipe, Anna Keil, Tilo Krügel, Bettina Schmidt). Biologische Geschlechterdifferenzen werden dabei behände wegperformt. Es gibt ohnehin nur einen auftretenden Mann, aber dieser Ophelio ist nur als dramaturgische Notwendigkeit zur Hochzeit von Belang, denn wo Prinzessin, da auch Hochzeit. Dass Karhu diesen Mechanismus zur maximalen Verunsicherung treibt, versteht sich von selbst.
Doch nicht die Gewichtigkeit des weiblichen Körpers und seine Genderverwicklungen stehen in Leipzig primär zur Debatte, vielmehr wird der Depressionstopos der Hamlet-Figur in zeitgenössischer Form weiblich ausbuchstabiert. Sarah Kanes «Psychosis 4:48» wird dabei zur (fast) ungenannten Hintergrundfolie, auf der die Prinzessinnen Hamlet sich in Schwermut tummeln dürfen auf ihrem Weg in den Club 27, deren letzter populärer Neuzugang vor einigen Jahren Amy Winehouse gewesen ist. Nur die Besten sterben jung. Immer dabei ist die beflissene Horatia, die dem Verfall nur zusehen kann und schließlich die Position von Prinzessin Hamlet einnimmt, um den medialen Schein zu wahren. Weltweit live übertragene Traumhochzeit inklusive.
Der entscheidende Unterschied von Shakespeares Hamlet und Karhus Prinzessin ist der Englandtrip. Der Brite lässt den Helden das Spiel durchschauen und gibt ihm das Handlungsheft in die Hand, die Finnin hingegen verfrachtet die Prinzessin in die Anstalt Buckingham Palace, wo stumpfsinnige Gruppengesangstherapie statt Konfrontation ansteht. Männliches vs. weibliches Verhalten? Der Vorgang ist implizit, er wird nicht thematisiert, doch das schöne Konzept des Gender-Spiels, das Regisseurin Lucia Biehler sich für die Inszenierung ausgedacht hat, gerät hier an seine Grenzen, denn im Text stellt sich unabhängig von der Geschlechterrolle eine ganz andere Frage: «To be passive or not be passive.»
Biehler setzt auf ein spielfreudiges Ensemble mit wechselnden Rollen, wobei die Marilyns jede auftretende Figur mit einem unverwechselbaren Grundgestus markieren. Horatia etwa zieht immer die Schultern hoch und wirkt eingeknickt, während Mutter Gertrude allzu aufrecht daher kommt. Texte werden wiederholt und in ihren unterschiedlichen Intonationen ausgestellt, dazu gibt es hie und da chorische Elemente. Eine Tragödie im Comicformat, wobei es vor allem die Komik ist, die durchschlägt. Jam Rostron hat dazu einen elektronischen Synthie-Klangteppich gewirkt, in dem auch die Verfremdungs-Effekte der Schauspieler per Mikro perfekt aufgehen. Umso stärker der emotionale Effekt, wenn Bettina Schmidt als Gertrud ihr Verhalten dem Publikum gegenüber rechtfertigt und dabei die vierte Wand erstmas durchbricht. Auch hier zeigt sich das inszenatorische Geschick Biehlers mit einem starken Gespür für Rhythmus und Komposition sowie Mut zu Witz und Slapstick.
Torben Ibs
https://www.schauspiel-leipzig.de/spielplan/a-z/prinzessin-hamlet-dse/
Wien: Joseph Roth «Radetzkymarsch»
Am 12., 19., 25. und 26. Februar im Akademietheater
Das «Radetzkymarsch»-Kapitel, in dem Joseph Roth einen Tag kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs aus der Sicht des Kaisers Franz Joseph I. beschreibt, ist von gemütvoller, ja geradezu zärtlicher Diktion. Ein Ton, in dem die nachlassende Lebenskraft, aber auch die weise Gelassenheit eines alten Mannes aufscheint, dessen Leidenschaften nur noch in Watte gepackt vor sich hinsimmern. Gleichwohl erfährt der Kaiser kurz vor Kapitelende eine rührende Irritation, als er dem Leutnant Carl Joseph von Trotta gegenübersteht und glaubt, dessen Vater sei jener «Held von Solferino» gewesen, der ihm einst das Leben rettete. Als er erfährt, dass es sich um dessen Enkel handelt, erschrickt er vor seinem eigenen Alter: «Dabei bemerkte er nicht, dass an seiner Nase ein glasklarer Tropfen erschien und dass alle Welt gebannt auf diesen Tropfen starrte, der endlich, endlich in den dichten, silbernen Schnurrbart fiel und sich dort unsichtbar einbettete.»
In Johan Simons und Koen Tachelets Bühnenadaption von Roths «Radetzkymarsch» ist an dieser Stelle Johann Adam Oest in eine cremeweiße Uniformjacke geschlüpft, die er über der Unterwäsche offen lässt. «Wir haben den Krieg nicht gern», spricht dieser tapsige Kaiserbär, «aber wir lieben das Militär». Und während Falk Rockstrohs Vater Trotta, der Franz Joseph I. vielleicht noch mehr liebt als seinen eigenen Sohn, als eine Art Kaiserversteher die Erzählerstimme übernimmt, während Oest vor Philipp Hauß’ einsamem Leutnant zu stehen kommt wir vor einem Knoten im Taschentuch, steuert die Szene auf ihren unsichtbaren Kristallisationspunkt – den «glasklaren Tropfen» – zu, der die Untertanen um die Würde seines Trägers zittern lässt. Simons zieht diesen Moment, das Starren und Bangen, fast genüsslich in die Länge, als hinge das gesamte Habsburgerreich an der Nase des Kaisers.
Der im letzten Jahr des 19. Jahrhunderts geborene galizische Jude Roth schrieb «Radetzkymarsch» 1932, also kurz vor der nächsten Zeitenwende, die ihn in die Emigration zwang. Im Zentrum stehen drei Männergenerationen der slowenischen Familie (von) Trotta, allesamt im Dienst des 68 Jahre von Gottes Gnaden herrschenden Kaisers und doch sehr unterschiedlich mit ihm und dem Reich identifiziert. Di wachsende Entfremdung vom K.u.K.-Vielvölkerstaat ist also schon Thema bei Roth, und doch ziehen Simons und Bühnenbildnerin Katrin Brack eine noch stärkere Distanzierungsebene ein, die über die Strecke von gut drei Stunden so zufällig wie gezielt die Publikumsaufmerksamkeit zerstreut: Von Anfang an ist die Bühne gefüllt mit bunten, verschieden riesigen Luftballons, die im Zeitlupentempo nach erratischen Gesetzen bis in den Zuschauersaal schweben, vom Publikum Richtung Bühne zurückgeschubst werden und dem gesamten Guckkasten die visuelle Anmutung einer zeitgenössichen Kunstinstallation geben. Auch das Ensemble integriert die Zufallsflugbahnen in sein Spiel und schiebt die Bälle beiseite wie launische Katzen und zudringliche Kleinkinder.
Mit seiner einfachen Holzbankreihe im Hintergrund lässt sich der Bühnenraum aber auch als Wartesaal deuten, in der einer militarisierte Gesellschaft auf ihre eigentliche Bestimmung, den Kriegseinsatz wartet. Das um ein gutes Dutzend etwas zu beflissener Bühnendiener*innen ergänzte Ensemble hockt dort in historischen Unterwäschen und Kniestrümpfen und zieht für wechselnde Rollen und Szenen Teile von Uniformen oder zivilen Kleidern an – ein deutliches Bild für die in Auflösung befindliche Monarchie, in der vieles von Formfragen abhing. Vom Radetzkymarsch selbst, der titelgebenden Kompositon, bleiben gar nur die verwaschenen Cluster leise aneinandergeschlagener Becken.
Mit wenigen Ausnahmen kommt Koen Tachelets Fassung ohne die üblichen Tricks der Romanadaptionen (Figur A erzählt als allwissender Erzähler über Figur B) aus. Der beinahe lebenslänglich zum Militärdienst verdammte Carl Joseph von Trotta ist der Protagonist auch von Tachelets dialogreicher Adaption; Philipp Hauß spielt den traurigen Enkel des «Helden von Solferino», der einst den Kaiser im richtigen Schlachtmoment auf den Boden drückte und dadurch vor einer Kugel schützte, mit nettem, aber doch unglücklichem Allerweltsgesicht. Weder eine freiwillige Versetzung an die russische Grenze noch Affären mit verheirateten oder betont promisken Frauen – die bei Andrea Wenzl allesamt akrobatischen Schiele-Models ähneln – oder der fast noch heißer begehrte «neunziggrädige» Schnaps können seine Wehmut und Sinnleere kurieren.
Um diesen so bemitleidenswerten wie selbstmitleidigen Trotta herum kommt es immer wieder zu Auf- und Ausbrüchen. Etwa gegen Trottas Freund, den Regimentsarzt Max Demant, der sich gegen antisemitische Verunglimpfungen mit einer Duellforderung wehren muss, bei der beide Duellanten sterben. Dass Trotta dem Arzt zuvor vorschlägt, für ihn einzuspringen, geht auch auf sein schlechtes Gewissen zurück – er hat kurz zuvor mit dessen Frau geschlafen. Steven Scharf spielt nicht nur den tragisch betrogenen, im Angesicht des nahen Todes kurz aufblühenden Doktor, sondern später auch Trottas nächsten Freund Graf Chojnicki, hinter dessen forcierter Lebenslust sich totale Desillusionierung und elektrisierende Hellsicht verbergen – und mit dem zusammen er gegen die eigenen Überzeugungen gewaltsam einen Arbeiteraufstand auflöst.
Die innigste Beziehung jedoch verbindet Trotta mit seinem Vater. Falk Rockstrohs beflissener Monarchist muss schon massive Verdrängungsarbeit leisten, um die militärische Familienehre immer wieder vor die Liebe zu seinem Sohn zu stellen – und doch reist er ihm sorgenvoll an den äußersten Rand des zerfallenden Reichs hinterher, erbittet beim Meta-Vater Franz Joseph I., dem er angeblich ähnelt, Gnade für seine Spielschulden. Just als es dem Leutnant endlich gelingt, sich vom Wunsch des Vaters zu lösen und aus dem Dienst zu scheiden, bricht der Krieg aus. Er wird einberufen und stirbt. Kein Heldentod, sondern eine traurige Pointe.
Simons gelingt es mit überraschender Leichtigkeit, Roths ambivalente Huldigung des Habsburgerreichs und seines Kaisers einzufangen und zugleich eine postheroische, ihrer selbst überdrüssig gewordene Männergesellschaft auf der Schwelle zum Untergang zu porträtieren. Nein, die vordergründig so freundlich-gemütvollen, in ihrer traditionellen Verwurzelung aber doch ziemlich unerbittlichen K.u.K.-Patriarchen gehen nicht ohne Weiteres in den Männern von Heute auf – und doch schiebt sich die Frage so unaufdringlich wie unausweichlich in den Raum, ob und was diese Zeitenwende mit der in Österreich auch gerade auf Regierungsebene vollzogenen zu tun haben könnte.
Eva Behrendt
https://www.burgtheater.at/de/spielplan/produktionen/radetzkymarsch/termine/2018-02-12/973753219/