Medien-Tip #4
Sonya Yoncheva: The Verdi Album
Sonya Yoncheva: The Verdi Album
Es ist nur ein Bild: ein Cover. Aber man würde sich Sorgen machen, wüsste man nicht, dass Bilder verführen sollen. Dieses Bild, es schmückt die neue Aufnahme von Sonya Yoncheva mit Arien aus acht Verdi-Opern, ist mehr als Verführung. Es ist ein Zeichen. Weißwangig-ausgehöhlt, beinahe schwindsüchtig blickt uns die bulgarische Sopranistin an, wie eine Schwester Violetta Valerys. Doch die kommt gar nicht vor im Reigen der Stücke, die Yoncheva, sahnig-samten begleitet vom Münchner Rundfunkorchester unter Massimo Zanetti, singt. Die Heroinen sind andere.
Zum Beispiel Leonora. Aber die gleich zweimal. Da ist zunächst die Leonora aus «Il trovatore». Geschmeidig wie eine Katze schwingt sich Sonya Yoncheva in ihrem as-Moll-Andantino «Tacea la notte placida» die erste Oktave hinauf. Und auch in der Folge sind ihre Auftakte von betörender lyrischer Eindringlichkeit, die Linien weitgeschwungen und organisch; Phrasen verzögert die Yoncheva, wo nötig (wie etwa vor «un ciel»), agogisch geschickt, portamenti tupft sie zauberhaft leicht. Auch ihre dynamischen Nuancen sind von erlesener Logik und die Spitzentöne, wie im Fall dieser Arie das B, das Leonora zweimal crescendierend ansteuert, leuchtend und füllig, Triller und Akzente in der Dur-Passage (allegro giusto) vogelzwitschernd vergnügt.
Ja, sie scheint sich zu Hause zu fühlen in diesem Repertoire, dass die Stärken ihrer warmen Stimme, nicht nur ihrer irisierenden Mezza voce, hervorhebt. Der Vergleich mit Maria Callas liegt hier und da auf der Hand. Doch Yonchevas Sopran ist metallischer, weniger schluchzend, er strebt mehr nach innen als nach außen. Die Callas fokussierte meist den Augenblick (und war es nicht vor allem dieses Verweile-doch-ach, das vielen ihrer Darbietungen das Prädikat «unvergesslich» bescherte?), Yoncheva sieht eher das Ganze, die Entwicklung der Figur innerhalb einer Arie.
Das gilt in besonderem Maße für die andere Leonora, die aus «La forza del destino». Man muss sich nur die Szenenanweisung im Libretto vergegenwärtigen, um zu wissen, in welcher Verfassung sie zu Beginn dieser zweiten Szene aus dem vierten Akt ist: «Leonora, bleich, entstellt, kommt aus der Grotte». Und sie spricht zu Gott: Viermal hintereinander singt Yoncheva das Wort «Pace», und mit jedem Mal singt sie es flehender, für «mio Dio», singt sie es, wie Verdi es sich wünschte: erst gehaucht, «con dolore», dann, sich öffnend, «con enfasi». An dieser Stelle zeigt sich eine weitere große Qualität dieser Sängerin: ihre Fähigkeit, Töne ineinander zu verschmelzen, gerade in chromatischen Auf- und Abgängen, so als seien sie (unheilvoll) aneinandergekettet, bis hinauf zu den Zielpunkten, in diesem Fall der forte-Ausbruch auf dem zweigestrichenen G bei «fatalità».
Dem Ausbruch der schmerzensreichen Frau steht die religiöse Inbrunst der Gläubigen zur Seite. Das ist bei Leonora ebenso wie in Desdemonas «Ave Maria» aus «Otello» (beide Arien stehen, kaum zufällig, in Dur!), das Sonya Yoncheva in feierlichem parlando-Ton ausführt, sowie mit erheblicher dolce-Expressivität. Und auch in der Klosterszene des vierten Akts aus «Don Carlo» breitet sich die nächtliche Verklärung wie eine charakterliche Gewissheit in ihrer Stimme aus: Während die Sopranistin in der fis-Moll-Passage breit phrasierend das Zentrum von Elisabettas Seele ausmisst, schlägt sie in der Fis-Dur-Aufhellung bei «s’ancor si piange in cielo», die nicht zuletzt der identischen Tonart wegen wie eine Vorstufe zur Rosenüberreichung aus dem «Rosenkavalier» anmutet, einen Tonfall an, der alle irdischen Sorgen wegspült. Das zu hören, ist nicht nur berührend. Es ist der Beweis, wie himmlisch schön Schmerz klingen kann.
Jürgen Otten
Sonya Yoncheva: The Verdi Album
Sonya Yoncheva (Sopran), Münchner Rundfunkorchester, Massimo Zanetti
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