Memmingen: Spiel des Lebens

Agota Kristof «Das große Heft»

Theater heute - Logo

Nur was objektiv wahr ist, ist gut und wird in «Das große Heft» eingetragen. Gefühle gehören nicht dazu. Diese trainieren sich die namenlosen Zwillinge, die während des Zweiten Weltkriegs zur Großmutter in ein kleines ungarisches Dorf ausquartiert wurden, systematisch mit speziellen Übungen ab. Drei Tage nichts zu essen gehört noch zu den leichteren.

Bis aufs Skelett einer unerbittlichen Sachlichkeit ist die Sprache kondensiert, mit der Agota Kristof in ihrem berühmten Roman aus dem Jahr 1986 die Überlebensstrategie von zwei symbiotisch aufeinander bezogenen Brüdern beschreibt, die auf die kriegsbedingte Not und Gefühlskälte um sie herum mit stoischer Härte und Gelassenheit reagieren. Der Text ist auch heute noch eine Herausforderung für die Bühne, der sich Max Claessen (Regie, Bühne, Kostüme) im kleinen Studio des Landestheaters Schwaben mit einer ebenso schlichten wie spieltauglichen Setzung stellt. 

Die Zwillinge sind bei ihm ein eingeschworenes, altersloses Clowns-Duo, dessen Kunst vor allem in einer Art amoralischem Zweckrationalismus besteht, mit dem sie einfordern, was sie brauchen. Jens Schnarre und Sandro Šutalo gehen dabei mehr wie Arbeiter als wie Artisten vor, ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Theater heute? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Theater-heute-Artikel online lesen
  • Zugang zur Theater-heute-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Theater heute

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Theater heute November 2019
Rubrik: Chronik, Seite 58
von Silvia Stammen

Weitere Beiträge
Essen: Selbsterfahrung im Behördendschungel

Leere Lagerhallen und marode Bürogebäude – dieser Teil der Essener Innenstadt hat schon bessere Tage gesehen. Hier, in einer unscheinbaren Außenspielstätte des Schauspiel Essen, hat das für seine technikbasierten immersiven Theaterstücke bekannte Game-Theater machina eX die «Bundesbehörde für Bevölkerungssichtung» eingerichtet. Entstanden aus dem Wunsch des...

Wutbürger und Hippies

Nicht jede Inszenierung braucht eine Bühne. Mitunter reicht ein Interview, wie der damalige Burg-Direktor Claus Peymann 1988 mit seinem launig-provokanten Gespräch mit dem Hamburger Wochenblatt «Die Zeit» bewies («Wenn Sie wüssten, was für eine Scheiße ich hier erlebe! Man müsste dieses Theater von Christo verhüllen und abreißen lassen»). Auch Martin Kušej teilt zu...

Abschied vom weißen Mann in den besten Jahren

Die Natur, die Goethes Werther einst schwärmerisch zu umfassen suchte, ist brüchig geworden. Sie ist ein Hörensagenphänomen. So wie Regisseurin Lilja Rupprecht sie an diesem Abend ins Schauspiel Hannover holt: Wellen schwappen auf dem Videoscreen so zähflüssig, als wären sie schon ein Ölteppich. Ein Fotoplakat prangt mit dem Versprechen auf «Natur» und...