Rezensionen 14. Dezember
München: E. Ómarsdóttir, H. Ólafsdóttir «Romeo und Julia»
Am 18., 26. Dezember, 6., 12., 16., 24. Januar im Gärtnerplatztheater
Das kann ja heiter werden. Bevor die Vorstellung richtig beginnt, treten die zwanzig Tänzer und Tänzerinnen vor den Vorhang und stellen der Reihe nach ihre persönliche Beziehung nicht nur zu dieser «Romeo und Julia»-Produktion her. Noch scheinen alle nackt; die fleischfarbenen Bodys lassen allerdings manchen Muskel, aber auch Geschlechtsteile monströs hervortreten. Da lacht das Publikum. Und es lacht noch mehr, als sich der eine als das «Gift» zu erkennen gibt, an dem Julia sterben wird, und der andere als die «Kirche», um gleich hinzuzufügen: «Nein, nicht die Institution; das Gebäude». Spätestens als einer im Gärtnerplatztheater bekennt: «Wir sind doch alle Romeo und Julia», wird einem klar: Eine «normale» Ballettaufführung wird das hier sicher nicht. Die wird auch niemand erwarten von Erna Omársdóttir, die daheim in Reykjavík die Iceland Dance Company leitet und u. a. mit Björk zusammengearbeitet hat.
Die Bühne bleibt denn auch leer bis auf einen goldenen Schleier, der sich erst von ein paar Treppenstufen hebt, um später wie ein Leichentuch alles unter sich zu begraben. Es dauert seine Zeit, bis Serge Prokofjew den Ton angibt und sich das gesamte Ensemble in eine Choreografie hineinfindet, die sich weniger narrativ als vielmehr assoziativ mit den Archetypen der Shakespeare-Vorlage auseinandersetzt. All das geschieht nicht ohne Augenzwinkern und schon gar nicht ohne Stimme. Aufstöhnend stürzen sich die Tänzer und Tänzerinnen in einen Kampf, bei dem das Kräftemessen keinen erkennbaren Unterschied mehr macht zwischen Montagues und Capulets, zwischen Männern und Frauen: ein Catch-as-catch-can nach allen Regeln der Kunst, bei dem am Ende auch nicht die Cheerleaders mit ihren obligaten Pompons fehlen dürfen. Es braucht da schon ein paar Zwischenrufe, damit im choreografierten Chaos die eigentliche Geschichte nicht gänzlich verloren geht. Aber selbst dann wird nicht wirklich ein Handlungsfaden aufgerollt, sondern werden eher Liebe und Leidenschaft in einen orgiastischen Dauerzustand versetzt, den auch ein tränendes Neon-Herz kaum konterkarieren kann.
Erinnern bildnerische Momente anfangs an Werke von Jeff Koons, hat sich das Team um Erna Ómarsdóttir und Halla Ólafsdóttir (Co-Choreografie) im zweiten, schwächeren Teil eher vom «Orgien-Mysterien-Theater» eines Hermann Nitsch inspirieren lassen. Die Tänzer und Tänzerinnen bestreichen sich jedenfalls mit Blut, auf das Schicksal von Romeo und Julia verweisend. Währenddessen wird im Hintergrund ein Brautbett hergerichtet, das auch ein Katafalk sein könnte: eine Ambivalenz, der die Tänzer auf ihre Weise entsprechen. Ganz reicht das noch nicht zu einem starken, vor allem aber einem tragischen Schluss. Heiterkeit allein genügt nicht. Das sieht auch Erna Ómarsdóttir so, die ihre Choreografie als ein Work in progress verstanden wissen will und weiter daran arbeitet. In München wie in Reykjavík, wo «Romeo und Julia» später gezeigt werden soll.
Hartmut Regitz