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Rezensionen 12.10.
Brunelle, Waldmann, Goecke, Gauthier, Foniadakis «Grandes Dames»
Bis 14. Oktober im Theaterhaus Stuttgart, am 18. Oktober in Aschaffenburg, Stadthalle am Schloss
Diesen Abend verdanken wir der «New York Times». Die Zeitung mit der vorbildlich umfangreichen Tanzkritik hatte Eric Gauthier geärgert, als seine Kompanie vor zwei Jahren beim «Jacob’s Pillow Festival» eingeladen war. Wie alle anderen Gäste hatte auch Gauthier Dance nur männliche Choreografen im Programm, war dann aber die einzige Kompanie, die das hinterher über sich lesen durfte. Impulsiv wie er ist, setzte Gauthier einen reinen Choreografinnen-Abend an – und erwischte, die Nachfrage zieht ja derzeit mächtig an, immerhin zwei der seltenen Spezies. Ihre Stücke hätten kaum gegensätzlicher ausfallen können.
Das synchrone Pulsieren des Herzschlags ist die Grundlage für Virginie Brunelles sanftes «Beating», das unter einem Potpourri allzu bekannter Musik leidet. Das weiche Bewegungsrepertoire geht kaum übers moderne Ballett hinaus, und doch atmet dieser Stil eine seltsam aufrichtige Frische. Ungekünstelt, ohne intellektuelle Verquastheit erinnert sich Brunelles Tanz an die feine Unschuld der Bewegung.
Es folgt lautes Peitschenknallen: Pferdebeinartige, gefährlich hohe Stelzen machen aus der Tänzerin Anneleen Dedroog eine unerbittliche Leder-Domina. Fünf halbnackte Opfer schütteln uns in Helena Waldmanns «We Love Horses» ausladende Plastikpferdehintern ins Gesicht, auf ihren Köpfen wippen überlange Zirkusfedern. Mit krassen, eindrücklichen Bildern blendet die Tanzregisseurin Bewegungsmuster von Dressurreiten, Sado-Maso und Ballettsaal ineinander. Der Mensch genießt das Gehorchen, ja sogar das Gequältwerden mindestens genauso wie das Befehlen, gelungener Zirkustrick und Orgasmus fallen in eins.
Die anderen beiden Stücke des Programms stammen von Männern und sind ersatzweise weiblichen Ikonen des modernen Tanzes gewidmet. Marco Goecke zeigt in «Infant Spirit» ein Solo über das Aufwachsen in Wuppertal: In Rosario Guerras empfindsamem Körper sieht man Unsicherheit und Aufbruch, Versteckenwollen und Hinausdrängen aus der Enge. Halb eleganter Verehrer und halb bunter Clown, heftet sich der Tänzer zum Schluss eine blassrosa Nelke ans Revers: das Lebensmotto als Verneigung vor der großen Pina Bausch.
Dem kanadischen Tanztorpedo Louise Lecavalier ist das lichtblitzende «Electric Life» gewidmet, in dessen erster Hälfte Eric Gauthier selbst mit den waghalsigen Würfen und Schrauben eines Duos an die unglaubliche Attacke der Kanadierin erinnert; vielleicht eine Spur zu effektvoll. Im zweiten Teil gruppiert Andonis Foniadakis gleißende Leuchtröhren zu immer neuen Straßen, Fluchten, Arenen und beschwört fürs große Ensemble einen Sturm an heftiger Bewegung herauf, spielt zu elektronischer Musik auf die kurzwellige Energie von Lecavaliers eigenen Stücken an. In drei Werken des Abends wird gesprochen, erstaunlich weit stößt Eric Gauthier damit ins Tanztheater vor und erfreut, ob Frau oder Mann, mit spannender Vielfalt.
Angela Reinhardt