Rezensionen 19.10.
John Neumeier «Beethoven-Projekt» in Hamburg
Am 20., 26. Oktober, 1., 2. 7., 8. November
Sein «Beethoven» sollte der größte sein. 1964 choreografierte Maurice Béjart «La IXe Symphonie» als eine «Ode an die Freude», die Menschen am Ende über alle Grenzen hinweg in einem grandiosen Gemeinschaftserlebnis einte. Mag sein, dass sich John Neumeier davon abheben wollte. Sein «Beethoven-Projekt», bei den «44. Hamburger Ballett-Tagen» erstmals vorgestellt, gibt sich anfangs kammermusikalisch karg, auf die «Eroica-Variationen» konzentriert. Nur ein paar Stellwände von Heinrich Tröger sind zu sehen. Davor ein Flügel, um dessen Fuß Aleix Martínez sich krümmt, als könnte ihm so die Komposition durch Mark und Bein gehen. Das tut sie denn auch auf Neumeier-Art, während Michal Bialk meisterhaft in die Tasten greift. Sich in Beethoven einfühlend, hilft Martínez bubenhaft tanzend «Figuren, Fantasien und Ängsten seiner Welt» auf die Sprünge.
In seiner Machart erinnert Neumeiers Eröffnungssequenz an «Gaîté Parisienne», ein Offenbach-Ballett, in dem sich Béjart letztlich selbst bespiegelt. Hamburgs Ballettintendant geht bei Beethoven nicht so weit, auch wenn er eine eigene Ohr-Entzündung während des Entstehungsprozesses als «intensive Identifikation» durchaus für möglich hält. Wie Béjart lässt er bildhaft die Szenen ineinandergleiten, und flüchtigen Visionen gleich tauchen in seinem «Beethoven-Projekt» all die Konstellationen auf, die des Komponisten Biografie kennzeichnen. Edvin Revazov wird wie ein heroisches Monument seiner selbst auf einem Podest herein- und hinausgeschoben. Andere kommen und gehen. Einzig eine verschleierte Frau scheint festere- Konturen zu gewinnen. Doch auch die «unsterbliche Geliebte» verblasst, einen flüchtigen Kuss auf der Wange des Pianisten hinterlassend. Allein Martínez bleibt allein und tanzt sich schier die Seele aus dem Leib.
Ein wunderbarer Tänzer, dem man ewig zuschauen könnte. Das muss sich auch der Choreograf gedacht haben, der dem Opus 35 nach der Pause noch die komplette «Eroica» folgen lässt, diverse «Beethoven-Fragmente» davor nicht eingerechnet. Doch auch die schönste Hingabe hat sich einmal erschöpft, und Martínez sieht am Ende nicht mehr ganz so vielversprechend aus wie zu Anfang. Schließlich hat er zwischendurch noch den «Geschöpfen des Prometheus» aufzuhelfen. Parodistisch verkürzt, dient das Beethoven-Ballett hier als «Intermezzo» – eigentlich verwunderlich, wo doch Neumeier im Voraus das Opus 43 zu den bedeutendsten Ballettpartituren des 19. Jahrhunderts rechnet. Er selbst nennt seinen Beethoven ein «Sinfonisches Ballett». Als «Projekt» lässt es sich auch als Work in progress verstehen. Das große Beethoven-Jubiläum steht erst 2020 an. Zeit genug also, den «Inhalt» so zu verdichten, dass er sich allein aus der Emotion und Bewegung der Tänzer speist. So wie das seinerzeit Béjart mit seiner «Neunten» gelungen ist.
Hartmut Regitz