Rezensionen 28.9.
«Celis/Eyal» in Berlin
Am 29. September, 2., 5., 10., Oktober in der Komischen Oper
Johannes Öhman heißt der Neue, der Schwede, Meister über 93 Tänzer, von denen zwanzig zur Saison-Eröffnung zeigen, wie der Hase läuft. Das geneigte Berliner Publikum wird abgeholt beim Tanzmodernen. «Your Passion Is Pure Joy To Me» des Belgiers Stijn Celis sind Auf- und Abtritte von Figuren, die gern einbeinig das Gleichgewicht zu Melancholie-Melodien von Nick Cave riskieren – ein Stück von 2009. Danach gibt es Gegenwart aus den Händen des israelischen Duos Sharon Eyal und Gai Behar. Schon seit 2013 erfreut ihre Kompanie L-E-V den Globus mit komplexen Revue-Choreografien, stets zu pulsierendem Techno aus der Retorte von Ori Lichtik. Einmal hatten sie es sogar fast nach Berlin geschafft: 2015 waren sie bei den «Tanztagen» der Fabrik Potsdam. Nun endlich Berlin: Mit «Half Life», vor einem Jahr am Königlich Schwedischen Ballett in Stockholm entstanden, heben sie ein Gutteil des Publikums aus den Sitzen. Standing Ovations. Das Aktuelle erlebt die Hauptstadt – immer noch – erst dann, wenn anderswo der Erfolg als sicher gilt.
Das Statement des Hausherrn lautet anders. Wir können Ballett, und: Wir können Zeitgenössisches. Wir können Individuen, und die können Irish Dance und Arabesque in eins tanzen, können in Duos unisono wirbeln, kippen, purzeln und mit einem wegzuckenden Bein ihre Pirouette mit so inniger Selbstliebe füllen, dass bereits diese erste Charge von Stijn Celis den Tanz über das bis dato am Staatsballett Übliche hinaushebt.
Nach der Pause pulsiert der Beat. Eine Dame zelebriert ein Walking auf der Stelle. Ein Athlet neben ihr streckt das Becken vor und peitscht das rechte Bein übers linke. Immerzu. Maskiert als Eyal’sche Einheitswesen, rücken die übrigen elf Tänzer wie eine Kohorte in Zentimeterschritten vor, die Hände an den Hüften, die Hände über den Köpfen, die Hände im Gesicht, die Hände rollen einen imaginären Teig. Die Knie gehen weich in die Hocke. Schultern fallen vor, Füße gehen auf halber Spitze. Die Variationen schwappen durch das zur Phalanx sich formende Ensemble, in dessen Mitte ein Riese herausragt, später eine geschulterte Tänzerin diesen überragt. Aus der Phalanx wird ein Vogel, die Arme der Tänzer zu Schwingen. Die Dame des Beginns zelebriert noch immer ihr Walking auf der Stelle. Die Flügelschläge der Masse hinter ihr machen sie zum Adlerweibchen. Die Musik wummert und pulsiert. Die Ellbogen biegen sich zu Winkeln, die Hände fallen vom Gelenk wie Beilchen. Alle springen im Entrechat, sehr elegant, schmuggeln mehr Ballettvokabular in die Maschine, die einmal in Gang gesetzt, dem Publikum den Atem raubt.
Die Ausdauer der Kompanie wird übermenschlich. Ein Raunen geht durch die Komische Oper, als unvermittelt der Vorhang fällt, als einziges Mittel, die Techno-Trippel-Ballett-Maschine zu stoppen. Ein überwältigtes Berlin bleibt zurück, das gut gelaunt vernommen hat, dass zu Saisonauftakt die Kompanie endlich wieder so alt aussieht, wie sie ist: jung.
Arnd Wesemann
https://www.staatsballett-berlin.de/de/spielplan/celis-eyal/29-09-2018/779