«Halten Sie sich Richtung Mercedes Benz», lautet die Navi-Ansage. Der Weg zu Johannes Grube, Tanz-Betriebsdirektor und Stellvertretender Intendant Tanz des Nationaltheaters Mannheim, führt über staubige Straßen durchs Gewerbegebiet von Mannheim-Käfertal. Galvanistraße, Tor 6A – «Sie haben Ihr Ziel erreicht.» Hier, in einer ehemaligen Werkhalle von General Electrics, befindet sich das Tanzhaus, eine Dependance des Nationaltheaters, mit Proberäumen und dem Büro des Betriebsdirektors.
Rauchend steht Johannes Grube – in kurzer weißer Hose, braungebrannt – vor dem Tor, heißt den Gast freundlich im «wüschten Teil Mannheims» willkommen und lädt zum Abtauchen in seine Welt ein. Es laufen gerade die Proben für den «Sommernachtstraum». Bei 35 Grad Außentemperaturen ringen die Tänzer in Boxershorts und T-Shirts, barfuß oder auf Socken nach Atem. Tanzchef Stephan Thoss korrigiert, kommentiert ohne Worte, nur mit Gesten und tänzerischen Bewegungen.
Johannes Grube schwebt auf leisen Sohlen zur Zuschauerbank, setzt sich und erklärt flüsternd den Probenablauf, die Besonderheiten des Stücks, der Choreografie, der Musik. Stolz und Respekt schwingen in jedem Satz mit, wenn er über die Tänzer spricht, den Tanzintendanten, über diese ganze zauberhafte Welt des Tanzes. Er schaut sich jede Bühnenprobe, jede Aufführung an. «Wenn ich mal nicht dabei sein kann, bin ich etwas nervös.» Den Betriebsdirektor, den Mann der Zahlen, entdeckt man hier noch nicht. Obwohl Grube als Tänzer zur Finanzmathematik kam. Weil das eine lange Geschichte ist, für die Grube einen Kaffee braucht, wird das Gespräch in ein Selbstbedienungs-Café an der Straße verlegt. Männer in Arbeitskluft vertilgen dreifach belegte Brötchen, Laster rumpeln vorbei; gemütlich ist anders. Aber Grube scheint hier ganz zu Hause zu sein, holt Wasser, Kaffee, Kuchen, parliert mit der Verkäuferin.
Johannes Grube ist ein eloquenter Erzähler, humorvoll, selbstironisch, geistreich. Geboren wurde er 1961 – «im selben Jahr wie Obama» – in Heidelberg. Tänzer hatte er immer werden wollen und wurde es auch, aber zu spät, wie er sagt. Nach dem Zivildienst begann er Medizin zu studieren und nahm «als spätentschlossener Skorpion» erst mit 21 Jahren die ersten Ballettstunden. Zu seinem 23. Geburtstag schenkte er sich ein Urlaubssemester in Brüssel und besuchte dort eine private Ballettschule. Danach gab’s kein Zurück mehr. Er schmiss sein Medizinstudium, tanzte an der Akademie des Tanzes der Musikhochschule Mannheim/Heidelberg vor und wurde trotz seines fortgeschrittenen Alters genommen. Ein Kindheitstraum wurde wahr, doch Grube blieb realistisch: «Ich wusste, dass man mit Mitte 20 nicht so tun kann, als wäre man 14.»
Der Absprung auf die Bühne als Profitänzer gestaltete sich zunächst auch schwierig, aber dann fiel die Mauer, die ostdeutschen Tänzer strömten in den Westen, Grube schwamm gegen den Strom und bewarb sich im Osten. «Es war wie im Märchen», erinnert er sich, «vier Häuser wollten mich ad hoc engagieren, nachdem mich im Westen eineinhalb Jahre lang niemand hatte haben wollen.» Er entschied sich für Gera, mit einer schlappen Monatsgage von 900 Mark. Aber das war ihm egal: «Ich war einfach nur glücklich, tanzen zu dürfen.» Seine erste Rolle war die Russische Puppe im «Nussknacker» – «ausgerechnet diese Rolle», er muss heute noch lachen, wenn er daran denkt. Denn er war zweimal durch die Folkloreprüfung gefallen und sollte nun russische Folklore tanzen. Allerdings, gibt er zu, habe die Choreografin die Schritte ein wenig abgeändert, «damit ich den Part hinkriegte».