Würde man an Wiederauferstehung glauben, wie es im «Wunder der Heliane» der Fall ist, wäre das Leben womöglich sogar viel einfacher. Sie wissen, Sie können alles noch einmal versuchen. Sie sterben, okay. Aber Sie wissen: Ich komme zurück!
Ob Sie es glauben oder nicht: Ich denke manchmal darüber nach. Und stelle mir vor, ich käme als Vogel oder ein anderes Tier zurück ...
… oder als Maria Callas?
(lacht) Ja, auch das ist möglich.
Wäre das eine Option für Sie?
Ja, schon. Ich liebe Maria Callas. Und das, obwohl ihr Leben tragisch verlief. Vielleicht genügt es deswegen, sie auf der Bühne zu erleben und ihr einfach zuzuhören.
Gut. Und wenn Sie einen Wunsch frei hätten als Mensch, der nicht Maria Callas ist?
Dann wünschte ich mir, Schauspielerin zu sein ...
... was man merkt. Wurde Ihnen dieses Talent in die Wiege gelegt? Oder ist es das Verdienst der Regisseure, dass man Ihr Spiel als so intensiv empfindet, beispielsweise als Freia in «Rheingold», als Maria in Křeneks «Diktator» oder, wie zuletzt, im «Wunder der Heliane»?
Christof Loy war für mich persönlich bei dem Korngold-Stück eine sehr gute Wahl. Wir haben zwar nicht den gleichen Hintergrund, aber wir beide lieben Kunst. Eines Tages zeigte er mit Bilder des belgischen Malers Fernand Khnopff; er wollte, dass ich auf der Bühne erscheine wie die weibliche Figur aus seinem Gemälde «Rosen». Wir erkannten, dass wir eine gemeinsame Liebe zur Malerei haben. Und das war sehr hilfreich für die Probenarbeit. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Man kann das trainieren. Ich wuchs auf dem Land auf, unweit einer Kleinstadt in Michigan. Wir hatten viel Platz zum Spielen dort; gleich hinter dem Grundstück begann der Wald, es gab Bären, Füchse, Hasen, auch der See war nicht weit, wir waren häufig am Strand, um Steine zu suchen. Und das ist ja auch im «Wunder der Heliane» ein großes Thema: die Kraft der Natur! Ich bin überzeugt davon, dass diese kindliche Art zu spielen, in dieser Umgebung, kreative Kräfte freigesetzt hat, weil es keine vorformulierten Angebote gab; wir mussten uns selbst, unser Leben, immer wieder aufs Neue erfinden. Im Garten stand eine Hollywoodschaukel, und ich habe mich jeden Tag mit meinem Kassettenrecorder in die Schaukel gesetzt, Musik gehört und die ganze Zeit mitgesungen.
Wurden Sie von Ihren Eltern dazu inspiriert?
Nein. Meine Mutter war Hausfrau, mein Vater arbeitete in einer Elektrofirma. Er war ein Multitalent. In unserem Haus, das er 1978 eigenhändig baute, verlegte er sogar die elektrischen Leitungen selbst. Aber seine größte Leidenschaft waren stets Züge; in seinem Zimmer steht eine Modelleisenbahn. Als ich das erste Mal nach Europa kam, machte ich anfangs nur Bilder von Zügen und schickte sie ihm.
Verstanden Ihr Vater und Ihre Mutter, dass Sie Sängerin werden wollten?
Nicht wirklich. Und sie haben mich nie auf der Bühne gesehen, weil sie beide unter geradezu panischer Flugangst leiden. Jetzt hat mein Vater überlegt, mit der «Queen Mary» nach Europa zu reisen, um seine Tochter wenigstens einmal hautnah zu erleben.
Sie haben lange in Frankfurt gewohnt, wo Sie im Ensemble der Oper waren, nun zieht es Sie als Freelance-Künstlerin nach Berlin.
Ich liebe es, in Städten zu leben. Aber ich weiß genau, woher ich komme. Das ist vielleicht eine gute Balance: Es schützt davor, neurotisch zu werden. Manchmal habe ich Angst, ins Rampenlicht zu gehen, dann werde ich nervös und stelle mir vor, wie es wäre, wenn ich einen Fehler machen würde. Andererseits liebe ich es, mit dem Publikum verbunden zu sein. DVDs mögen schön sein, aber das ist definitiv nicht, was ich will. Mir geht es um die Verbindung mit all jenen, die zuschauen – live!
Im Fall der «Heliane» konnten Sie Tausende von Menschen im Saal für einige Momente nackt auf der Bühne sehen. Geschätzte 99 Prozent Ihrer Kolleginnen würden das nicht tun. War das natürlich für Sie?
Ja.
Und wussten Sie, als Sie den Vertrag für diese Partie unterzeichneten, dass es dazugehören würde?
Nein, das wusste ich nicht. Aber ich kannte das Stück (lacht). Während ich in München «Meistersinger» probte, traf ich Christof Loy, wir sprachen über die Korngold-Oper, über die Titelfigur, ihr Wesen, ihre Haltung, ihre Magie. Und ganz am Ende des Gesprächs fragte er mich, ob ich mir vorstellen könnte, die beiden neuralgischen Szenen so zu spielen, wie sie im Libretto stehen – nackt. Und ich dachte: okay. Was heißt das eigentlich: «nackt»? Das hohe C ist nackt. Die Rollen an sich sind es teilweise. Ehrlichkeit ist nackt. Aber nackt auf der Bühne zu stehen, ist nur eine Tätigkeit. Sprich: Wir sollten unser Denken darüber, was wirklich nackt ist, dringend überprüfen. Das ist mir zu schlicht, in der ganzen Debatte. Als Freia beispielsweise würde ich nicht nackt auf die Bühne kommen, es passt nicht zur Figur. Aber zu Heliane passt es. Es ist notwendig, Teil der Rolle. Und was für eine spannende Stelle ist das, nachdem sie sich entkleidet hat! Da ist zunächst keine Musik, da ist nur Stille. Und dann kommt dieser Satz, den Heliane zu ihrem Liebhaber sagt: «Ich werde für dich und mich beten.» In der Partitur gibt es zwei Optionen: Sie können diesen Satz singen oder sprechen; ich habe mich dafür entschieden, ihn zu singen, weil Helianes Scham und Schuld dadurch noch stärker zum Ausdruck kommen, ihr Gefühl, wie falsch das alles für sie ist, wie verlogen die ganze Gesellschaft. Und dazu gehört die Nacktheit notwendigerweise, auch wenn Olaf Winter das Licht dimmte, damit es nicht so direkt ist, und es Körperschminke gab. Wir hatten eine Abendprobe nur für diese Szene. Wir waren sehr wenige, aber das alles fühlte sich für mich absolut natürlich an. Eine Freundin von mir sah es und sagte hinterher, es habe sich für sie gar nicht so angefühlt, als ob ich da nackt bin, es sei einfach wesentlicher Bestandteil der Szene – «das Naheliegendste eben», wie sie es ausdrückte.
Es war ein Bild, ein Symbol?
Ja, wir waren alle sehr glücklich, weil wir spürten, dass es als Szene funktionierte. Und nur darum ging es letztlich.
Glauben Sie, dass es eine Grundvoraussetzung ist, Vertrauen in eine Produktion zu haben, um so etwas tun zu können?
Ja. Weil ich mir alleine nicht genügend vertraue. Ich benötige die Unterstützung der anderen. Geholfen hat mir aber auch der Film «Zeugin der Anklage», der eine wichtige Rolle spielt. Zunächst war ich beinahe schockiert, wie stark und kalt die Figur ist, die Marlene Dietrich verkörpert. Was immer sie sagt, ist richtig. Alle glauben ihr. Sie kommt, sie gewinnt. Und dann gibt es ganz am Ende diese überraschende Wendung. Man erwartet alles andere, aber nicht das. Großartig! Und das hat mich irgendwie inspiriert, um die Geschichte der Heliane zu verstehen, sie zu spielen und die Frage für mich zu beantworten: Wie will ich diese Geschichte erzählen? Der Fremde stirbt, ich bringe ihn ins Leben zurück. Wie kann ich das Publikum davon überzeugen, dass es diese Geschichte glaubt und nicht darüber lacht, vielleicht sogar über mich? Ich war sehr beeindruckt, wie Loy das gemacht hat. So schlicht, schön.
In Korngolds anderem großen Bühnenwerk, der «Toten Stadt», haben Sie die Partie der Marietta/Marie zweimal verkörpert; einmal in Karoline Grubers Hamburger Inszenierung, ein weiteres Mal in der Frankfurter Arbeit von Anselm Weber. Glauben Sie, dass es einen Unterschied macht, ob eine Frau oder ein Mann dieses Stück inszeniert? Insbesondere, was das darin herrschende Frauenbild angeht?
Beides waren Wiederaufnahmen, das heißt, man hat zehn Tage, um die Rolle vorzubereiten. Die Arbeitsweise von Karoline Gruber kenne ich nicht, die Anselm Webers hingegen schon. Weber kommt vom Schauspiel, er lässt uns jede Menge Freiraum. Er gibt uns nur eine Art Skelett, eine Struktur, dann lässt er los. Grundsätzlich glaube ich schon, dass es einen Unterschied macht, ob dieses Stück von einer Frau oder von einem Mann inszeniert wird, weil sie unterschiedliche Erfahrungen und Sichtweisen auf Männer und Frauen haben.
Aber es nicht wichtig für Sie?
Nein. Ich bin mehr an Ideen interessiert. Oder an solchen Bildern, wie Christof Loy sie mir gezeigt hat. Das sind Inspirationsquellen für mich. Ich frage auch nicht danach, ob ein Dirigent oder eine Dirigentin im Graben steht – wobei ich entschieden der Meinung bin, dass der Oper mehr weiblicher Nachwuchs im Graben guttäte! Ich will jemanden vor mir haben, der weiß, warum Mimì bei «Si chiamo» das hohe C erklimmt, wenn sie Rodolfo trifft, und der sich um Phrasierungen kümmert. So lange das gewährleistet ist, können das meinetwegen auch Aliens sein, das ist mir völlig egal.
Beteiligen Sie sich an der #MeToo-Debatte?
Nicht öffentlich. Ich diskutiere das mit meinen Freunden. Nur eines weiß ich: Das Land, aus dem ich komme, ist prüde und zumindest in Teilen ziemlich restriktiv. Deswegen lieben die Menschen dort solche Debatten. Für unsere Arbeit sind sie nur sehr bedingt hilfreich. Wie sollen wir denn künftig proben, wenn alles unter Kontrolle gerät? Was passiert dann noch zwischen den Menschen auf der Probe? Einer der Statisten bei «Heliane» fragte mich am Ende der ersten Probe, wie er mich berühren soll in der Szene, wo ich hin und her geschubst werde; er hatte große Angst, mich falsch anzufassen. Für mich war das ebensowenig ein Thema wie die Nacktheit. Und ehrlich gesagt: Die Männer hatten vor dieser Szene mehr Angst als ich! (lacht)
Aber denken Sie nicht, dass es gut ist, ein Diskussion zu führen über das System von Hierarchie und Macht, das zum großen Teil von Männern installiert und beherrscht wird?
Ich denke, es kann nützlich sein. Aber vielleicht nicht so verhärtet, wie es gerade ist, auch und gerade zwischen Frauen ...
... sagen wir: zwei Soprane zeitgleich in einer Garderobe?
(lacht) Ja, so in etwa.
Das führt uns zu den Rollen, die Sie singen: In der Mehrzahl sind es Frauen des 19. Jahrhunderts, unglücklich verliebte Frauen, Frauen als Objekte männlicher Begierde, Frauen manchmal als Subjekte in einer Welt von gestern, Frauen des Fin de Siècle. Fühlen Sie eine Nähe zu dieser Epoche, zu ihren weiblichen Vertreterinnen?
Manche Produktion passt nicht zu mir, manchmal ist es sogar die falsche Rolle. Aus künstlerischer Sicht fände ich es allerdings durchaus interessant, in dieser Zeit zu leben. In einer New Yorker Ausstellung sah ich einmal Salon-Bilder von Khnopff und dachte: Der Geist dieser Zeit ist mir nahe.
Zu welchem Ihrer Charaktere fühlen sie die größte Nähe?
Ich mag Marie in «Wozzeck» – die femme fatale Marie. Noch mehr mag ich Polina in Prokofjews Oper «Der Spieler», obschon nicht persönlich. Was mich an dieser nur oberflächlich lebenslustigen Frau fasziniert, ist, dass sie so schlimm verletzt wird von so vielen Menschen.
Mögen Sie den Rausch in Korngolds Opern?
Ja, absolut. Wie ich auch diese Epoche liebe. Sogar die Kleider waren damals interessanter.
Auf den Opernbühnen sehen wir hingegen, zumal im letzten Akt, meist Frauen in weißen oder schwarzen Negligees. Ist das nicht langweilig?
Es ist eine Herausforderung. Aber ich habe noch nie gedacht, dass ich eine Frau spiele, die ich zuvor schon einmal gespielt habe. Es ist also anscheinend nicht abhängig vom Kostüm, das ich trage. Dennoch fühle ich mich manchmal wirklich nicht gut.
Wie steht es diesbezüglich mit Wagners Frauen? Mit Eva, Freia, Elsa?
Eva nennen wir im Englischen «milk toast». Sie ist sehr langweilig, eine Nullachtfünfzehn-Frau: «milk toast» eben. Aber es gibt auch bei ihr Momente, in denen sie einen Mann verführen und Sex haben will – aber das ist in der Musik, in den offbeats ihrer Arie, wo das Verlangen aus ihr herausschießt wie Lava. Generell muss ich sagen: Ich habe nur wenige Erfahrungen mit Wagner, und ich glaube, meine Stimme passt nicht wirklich zu ihm. Sie ist zu schlank, nicht üppig genug. Dennoch würde ich gerne die Sieglinde singen. Nur würde es eben eine sehr lyrische Sieglinde werden.