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Fahr zum Abschied leise Fahrrad

Reid Anderson verlässt das Stuttgarter Ballett

Noch hat der Ballettintendant sein Büro nicht geräumt. Seine Bücher überlässt Reid Anderson der John Cranko Schule. Auch einige der Bilder an den Wänden, so die Zeichnung von Lude Döring zu seiner Linken. Ebenso eine Büste von Márcia Haydée, einst gestaltet von Eva Zippel. Und die Collage von Jewgenij Ruchin stärkt ihm gewissermaßen den Rücken: Cranko hat die Arbeit des «russischen Nonkonformisten» einst aus der damaligen Sowjetunion herausgeschmuggelt. Was mit seinem Schreibtisch geschieht, muss der Nachfolger entscheiden. Das Möbel hat weder Ecken noch Kanten und entspricht so gar nicht dem äußeren Image eines Intendanten, der seinen Abschied mit bemerkenswerter Gelassenheit vorbereitet. Reid Anderson hat Zeit. Genug Zeit für ein Interview.

Sie werden im nächsten Jahr 70, wurden wie viele ehemalige Balletttänzer an beiden Hüften operiert und wirken trotzdem so fit, dass man nicht unbedingt versteht, warum Sie als Intendant des Stuttgarter Balletts nicht weitermachen möchten. Wie schaffen Sie das? 
Rad fahren. Eine Stunde lang, ab fünf Uhr morgens. Jeden Tag. Ich habe ein stationäres Bike bei mir zu Hause. Auch unterwegs steige ich nur in Hotels ab, die über einen Fitness-Raum verfügen. Darüber hinaus mache ich viele Übungen, Stretching und Ähnliches. Die Bauchmuskulatur muss gekräftigt werden. Schon zu meiner aktiven Tänzerzeit war ich eine halbe Stunde vor dem Training im Ballettsaal, um meine speziellen Übungen zu machen. Manche sind statisch, einige finden im Liegen statt, andere beim Fernsehen.

Zurück zum Fahrrad. 
Ich habe mir meins so eingerichtet, dass ich zugleich ein Video anschauen, einen Artikel lesen, telefonieren, Mails schreiben, sogar meine Korrespondenz per Hand erledigen kann. Ich habe mir das alles beigebracht, beibringen müssen. Denn zu meinen Hüftproblemen kamen vor ein paar Jahren noch Rückenoperationen hinzu. Aber ich habe mich zusammengerissen und wieder alles gelernt, um mich weiterhin auf natürliche Weise bewegen zu können. Jetzt geht’s mir blendend. 

Die typischen Rückenprobleme eines klassischen Tänzers? 
Ich bin atypisch in dem Sinne, als ich Rückenprobleme bereits in meiner Kindheit hatte. Zwei Bandscheiben waren nie gut, sozusagen meine Achillesferse. Meine Hüften waren verformt, und zwar von Natur aus. Vor meiner ersten Hüftoperation wusste ich nichts davon, ich war ja groß und kräftig gebaut. Alle Choreografen haben auf mich zurückgegriffen, wenn wieder einmal ein Pas de deux angesagt war. Ich habe gehoben, gehoben, gehoben … Und musste bezahlen, bezahlen. Ich bezahle das gerne. 

Physisch gesehen, hätten Sie weitermachen können. 
Hätte ich. Niemand hat mir bedeutet aufzuhören. Dass ich es tue, hat unterschiedliche Gründe. Dass ich bald siebzig werde, fällt da weniger ins Gewicht. Aber ich habe einen Partner, der zehn Jahre älter ist, und deshalb wollte ich einfach mal Zeit haben für uns. Gemeinsam bewusst etwas anschauen – und das nicht deswegen, weil uns zufällig eine Tournee dorthin geführt hat. Etwas sehen, was auch normale Leute sehen. Unterwegs habe ich ja auch meistens gearbeitet.

Doch das war nicht der einzige Grund? 
Ausschlaggebend war für mich die angekündigte Sanierung der Württembergischen Staatstheater, und die kostet Zeit und Kraft. Natürlich habe ich mich gefragt, ob ich mir das noch mal antun soll. Etwas Ähnliches habe ich schon mal in Toronto durchgemacht. Deshalb sagte ich mir vor zwei Jahren: Der Neubau der John Cranko Schule steht bald, und der war mein großes Ziel. Für die Zeit des Provisoriums hier am Haus braucht es aber einen Jüngeren. Jemanden, der das wirklich durchziehen kann, mit aller Kraft. Dass der Umbau mitsamt den Umzügen wahrscheinlich zehn Jahre dauert, konnte ich zum Zeitpunkt meiner Entscheidung ja nicht ahnen: Da wäre ich achtzig. Doch davon abgesehen: ICH wollte mich entscheiden. Ich freue mich darauf aufzuhören, selbst wenn das ein Hammer ist, all das aufzugeben. Aber ich gebe mich ja nicht auf. Ich bin noch immer hier. Und ich bleibe in Stuttgart. 

Und werden weiterhin arbeiten. 
Ja, aber ich muss nicht arbeiten. Ich kann machen, was ich will – und nicht, was ich machen muss. Ich habe meine freien Tage neulich in Boston genossen, als ich nicht unbedingt zu früher Stunde aufstehen musste.

Es zwingt Sie doch niemand, um fünf auf den Beinen zu sein. 
Nein, das nicht. Ich bin ein Morgenmensch und bin sofort da, sobald ich aufwache. Es ist ein gutes Gefühl, meine Hausaufgaben erledigt zu haben, wenn ich das Theater betrete. Ich nehme meine Arbeit zwar mit nach Hause, aber ich arbeite abends nie. Vielleicht teile ich mir ein, wie ich am nächsten Morgen damit umgehe. 

Was machen Sie abends? 
Essen. Entspannen. Fernsehen. Mit Dieter plaudern. Aber ich habe über hundert Vorstellungen im Jahr, und die schaue ich mir nach Möglichkeit auch an: Wenn ich hier bin, bin ich da. Mir ist es lieber, am nächsten Morgen um fünf Uhr aufzustehen, Frühstück zu machen und dann nach oben zu gehen … 

… um Ihre Hausaufgaben zu machen, wie Sie sagen. 
Mein Kopf ist klar. Oft denke ich morgens anders, als ich am Abend zuvor gedacht habe. Die Probleme haben sich relativiert. Manchmal habe ich Berge von Sachen, die ich lesen muss, um au courant zu bleiben. Was ist in, was ist out? Wer macht was? Weil ich so interessiert bin an neuen Choreografien, erhalte ich unzählige DVDs, die ich mir ansehen soll. Ich schaue mir immer alle an, selbst wenn sich das nicht immer lohnt. Gefällt mir etwas, reagiere ich – so wie bei Edward Clug. Dieter hatte über ihn was im Fernsehen gesehen, «Radio and Juliet». Auf seinen Rat hin habe ich mir das auf Video kommen lassen; es hat mir so gefallen, dass ich sofort angerufen habe, um Clug für eine Choreografie einzuladen. Ähnlich verlief es bei anderen Entdeckungen: Wayne McGregor, Kevin O’Day, Mauro Bigonzetti, Marco Goecke. Manchmal fühlt man sich dabei wie Sherlock Holmes; man ist immer dabei, jemanden aufzuspüren, der für einen etwas machen könnte.

Ist das nicht manchmal riskant, jemanden aufgrund eines Videos einzuladen? 
Natürlich habe ich auch den Fehler gemacht, Leute einzuladen, die überhaupt nicht zu uns gepasst haben. Die sind nie wiedergekommen. Aber in den 31 Jahren, die ich nun schon Ballettensembles leite, ist mir das nur selten passiert. Dieses Gefühl, etwas Neues entstehen zu sehen, war und ist überwältigend.  

Dieses Gefühl, irgendetwas ermöglicht und gesteuert zu haben … 
… ein Gefühl, das ich seit meinem vierten Lebensjahr kenne, werde ich nicht mehr haben können. Es wird durch ein anderes Gefühl ersetzt. Kein tragisches, ein neues. 

Glauben Sie, dass Sie es schaffen, ruhig zu Hause zu sitzen, wenn sie den Eindruck haben, Ihr Nachfolger kriegt das nicht so hin? 
Ich bin kein solcher Typ. Ich kann mir eine Vorstellung anschauen wie ein ganz normaler Zuschauer. Ich habe Übung darin. Bei den Veranstaltungen der Noverre-Gesellschaft, auch bei den Workshops des National Ballet of Canada, habe ich immer anderen die Auswahl der Choreografen überlassen. Ich mache: NICHTS. Bin bei keiner Probe. Ich gehe unbelastet in den Abend, kenne nicht einmal die Abfolge der Stücke und lasse mich einfach überraschen und hoffe darauf, dass sich irgendwann die Nackenhaare aufstellen. 

Und das wollten Sie so? 
Ich wollte das: keine Vergangenheit, nur Gegenwart. Und die Hoffnung auf eine Zukunft.

Haben Sie sich auch bei den anderen Uraufführungen so verhalten? 
Nur bei den «Fantastischen Fünf»; den konnte ich vertrauen. Aber oft war ich schon sehr früh in den Schaffensprozess involviert, der allerdings auch sehr zeitraubend sein kann. In der Regel lasse ich den Choreografen freie Hand und greife nur dann beratend ein, wenn ich aufgrund meiner Erfahrung der Meinung bin, dass ein Stück zu lang gerät oder die Abfolge nicht stimmt.  

Sie zwingen niemanden zu einer Änderung? 
Nein. Ich sage: Das ist zu dunkel, das ist zu schnell, wäre es dramaturgisch nicht besser … Aber letztlich ist das ja deren Arbeit, er oder sie muss dafür geradestehen. 

Gab es jemals einen Fall, wo sie die Aufführung verhindert haben? 
Es gab Fälle, wo ich darüber nachgedacht habe, es aber durchgehen ließ. Das Choreografieren ist ein schwieriger Prozess, den ich gelegentlich ja selbst durchgemacht habe. Während ein Maler, ein Komponist, ein Schriftsteller seine Fehler ohne Aufsehen korrigieren kann, muss ein Choreograf sozusagen seine «schmutzige Wäsche» vor allen Leuten waschen. Ballett braucht Raum, braucht Tänzer, Unterstützung, Geld. Jemand wie ich kann das einem jungen Menschen geben. Deshalb habe ich mich immer bemüht, nichts zu verhindern. Schon gar nicht einen Choreografen. John Cranko hat John Neumeier und Jiří Kylián jede kreative Möglichkeit eingeräumt. Während meiner aktiven Tänzerzeit kamen andere hinzu: William Forsythe, Glen Tetley, beide noch von Cranko nach Stuttgart eingeladen, und Uwe Scholz natürlich, der Cranko noch auf der Schule begegnet ist. Ich dachte, dass das ein Teil meines Jobs ist … 

… einen Christian Spuck aufzubauen. 
Nicht nur ihn. So viele wie möglich. Und wenn ich schon dabei bin: Warum nicht auch Direktoren aufbauen? Und in der Tat: Irgendwie hat das auch geklappt. Denken Sie nur an Bridget Breiner, die Birgit Keil am Badischen Staatsballett nachfolgen wird, an Ivan Cavallari, der Les Grands Ballets Canadiens leitet, an Filip Barankiewicz, der nach Prag ging, an Sue Jin Kang, die am Korean National Ballet erfolgreich ist. Und an Eric Gauthier, dessen Kompanie-Idee hier an diesem Tisch Gestalt angenommen hat. 

Haben Sie denn Ihre potenziellen Direktoren an Ihren eigenen Entscheidungen teilhaben lassen? Aber ja. Tamas Detrich zum Beispiel. Er hat erst mit 43 aufgehört zu tanzen. Ich drängte ihn dazu, Training zu geben. Er erlebte, wie Valentina Savina «Schwanensee», «Dornröschen» und «Giselle» gecoacht hat, leitete schließlich selber Proben. Später wurde er Ballettmeister. Irgendwann dachte ich, er könnte stellvertretender Intendant sein. Mein Ziel war nicht, dass er mir nachfolgen sollte, sondern dass er eines Tages vielleicht eine Direktion übernehmen könnte.  

Aber Sie haben ihn in diese Richtung gesteuert? 
Nichts kommt von nichts. Man muss irgendeinen Background haben, Leute kennen. Auch dass man hier war, hilft. Stuttgart ist ein magischer Name in der Ballettwelt. Viele Engagements wären ohne diesen Hintergrund nicht zustande gekommen.

Ich frage auch der drei Hauschoreografen wegen, die es in Ihren Intendantenjahren gab: Christian Spuck, Marco Goecke, Demis Volpi. Spuck ist Ballettdirektor in Zürich geworden: ein natürlicher Vor- und Weggang. 
Ein Traum-Abgang. Ich habe immer darauf gehofft, dass er so eine tolle Position findet. Ich war überglücklich. 

Mit Marcos Abgang haben Sie nicht direkt zu tun. 
Hab ich nicht. 

Anders bei Demis Volpi, dessen Vertrag Sie nicht verlängert haben. Hatten Sie plötzlich Vorbehalte? War es eine Fehlentscheidung, ihn unter dem Eindruck des «Krabat»-Erfolges zum Hauschoreografen zu ernennen? 
Keine Fehlentscheidung. Auch kein spontaner Entschluss, keine Schnapsidee, wie man vielleicht meinen könnte, sondern das Ergebnis reiflicher Überlegungen. Nicht zuletzt nach seiner erfolgreichen Opernarbeit hatte ich den Eindruck, dass er sein Klassenziel erreicht hat. Er kann etwas, ist angesehen. Der Zeitpunkt ist gekommen, ihn aus meinem Nest zu werfen, damit er flügge wird. 

Nicht alle jungen Choreografen sind Hauschoreografen geworden. Was hat sie bewogen, gerade diese drei ans Haus zu binden?  
Christian Spuck wurde bereits von meiner Vorgängerin Márcia Haydée gefördert; ich habe ihn quasi geerbt. Auch ich fand seine Choreografien interessant, vielsprechend. Er war sozusagen schon auf meinem Teller, ich musste nur entscheiden, was ich damit machen wollte. Demis Volpi war und ist mein Kind, das ich großgezogen habe.

Marco Goecke? 
War plötzlich da. Ein interessanter Typ. Ein anomaler Typ. Er erzählte mir von seinem Misserfolg beim Choreografischen Wettbewerb in Hannover. Ich musste ihm gestehen: «Loch», so der Titel seiner ersten Arbeit, war überhaupt nicht mein Ding. Ich ließ ihn dennoch gewähren; Vergangenheit interessiert mich wenig, ich bin eher ein Gegenwartsmensch, zukunftsorientiert. Also hat er etwas für die Noverre-Gesellschaft gemacht, etwas ganz anderes. Er hat das «Loch» aufgefüllt und versucht, ein Haus draufzubauen. Ich war wie hypnotisiert von dem, was ihm bei «Chicks» eingefallen ist. Ich fand das Ballett eigenartig, eigenwillig, geradezu einmalig. Einfach anders. Ich habe ausnahmsweise mal nicht wirklich überlegt, ob ich ihm eine zweite Chance geben sollte. Diese Frage stellte sich nicht. Ich war fasziniert, blieb fasziniert und wollte sehen, wie es weitergeht. Goecke war wie eine Droge. Ich wollte ihn unbedingt halten, auch wenn er nicht von Anfang an so erfolgreich war. Ich war mir sicher, dass man ihn irgendwann verstehen würde – und irgendwann hat man ihn verstanden. Nicht nur in Stuttgart. Überall. 2019 wird er Ballettdirektor in Hannover. Ich weiß nicht, ob er das erreichen wollte. Aber er hat seinen Platz bekommen, etwas aufzubauen. Er ist, wie die anderen auch, etwas geworden.  

Haben Sie sich selbst vorgestellt, jemals Ballettintendant zu werden?
Ich habe mir nichts vorgestellt, ich wollte Tänzer werden, und ich tanzte alles Mögliche: Modern, Stepp, Gesellschaftstanz. Von ällem ebbes, wie man im Schwäbischen sagen würde. Irgendwann wollte ich dann Balletttänzer werden, wollte nach London gehen. Und ich ging nach London und war in der Schule: nicht übermäßig begabt. Wäre ich 1969 in Stuttgart Ballettdirektor gewesen, damals, als ich hier erstmals an der Stange stand: Ich hätte mich nicht engagiert. So wie ich damals ausgesehen habe. Ich habe ein Riesenglück gehabt, einem John Cranko zu begegnen.

Cranko hat in Ihnen etwas gesehen. 
Ich war mit neunzehn so un-sicher, so scheu, so unerfahren. Ich habe mich überhaupt nicht gemocht, mein Aussehen. Ich habe zu ihm gesagt: Mein Kopf ist zu groß, mein Hals ist nicht lang genug, meine Schultern sind zu klein, meine Hüften zu breit, mein Oberkörper zu kurz, mein ... 

Wie hat er darauf reagiert? Er sagte nur: So, bist du jetzt fertig? Ja, sagte ich und stand mit schlotternden Beinen da, ich hatte noch nie mit so jemandem gesprochen. Mit Frederick Ashton: undenkbar! Dem konnte man allenfalls einen «Guten Morgen» wünschen. Anders John, mit ihm konnte man reden. Er sagte: Siehst du: Das ist genau das, was ich an dir mag. Das Eigene. Dein großer Kopf, dein kurzer Hals, dein Oberkörper, deine Hüften. Alles. Mehr sagte er nicht. Es war kein langes Gespräch, aber es hat mein Leben verändert. 

Er hat Sie akzeptiert – mehr als Sie selbst. 
Viel mehr. Er wollte sagen: Sieh nicht bloß, was du siehst. Sieh auch, was andere Menschen in dir sehen. Ein Balletttänzer blickt in den Spiegel und sieht sich immer negativ: Woran er arbeiten sollte. Was er besser machen müsste. Nie werde ich den Tag vergessen, als ich aufhörte, Tänzer zu sein: Ich musste mich nicht mehr anschauen. Jeden Tag. Stundenlang. Und immer die eigene Unvollkommenheit erkennen. 

Wie hat sich der Perspektivwechsel ausgewirkt? 
Ich habe mich für alles öffnen können, was auf mich zugekommen ist. Habe versucht, bei meinen Tänzern die gleiche Hingabe zu wecken, die mir bis dahin eigen war. Denn das hat mir Cranko beigebracht: Da zu sein, hungrig, bereit, alles zu geben. Hätte ein Choreograf verlangt, auf dem Kopf zu stehen: Ich hätte es getan. 

Was wollten Sie als Ballettdirektor, als Ballettintendant? 
Ich war immer darum bemüht, unsere Kunstform weiterzubringen, den Tanz am Leben zu erhalten. Was braucht man dazu? Man braucht eine Schule. Eine gute Schule. Man braucht eine Kompanie. Eine kreative Kompanie, die gleichzeitig auch zeigen kann, was war und wie es sein könnte. Man braucht Choreografen. Gute Choreografen. Und man braucht einen Ballettdirektor. Das alles bedeutet etwas für mich. Denn das geht weiter.

Das Gespräch führte Hartmut Regitz

Reid Anderson, 1949 im kanadischen New Westminster, British Columbia, geboren, beginnt seine Tanzausbildung in Burnaby. Mit siebzehn erhält er ein Stipendium an der Royal Ballet School in London. 1969 wird er, von John Cranko verpflichtet, Mitglied des Stuttgarter Ballett, 1974 dessen Solist, 1978 Erster Solist. Sein Repertoire umfasste insgesamt 87 Partien. In insgesamt 34 Uraufführungen ist er an führender Stelle dabei, so in «Die Kameliendame» von John Neumeier, «Requiem» und «Mein Bruder, meine Schwestern» von Kenneth MacMillan sowie als Apoll im «Orpheus» von William Forsythe und Hans Werner Henze. 1987 wird er Direktor des Ballet British Columbia, zwei Jahre später des National Ballet of Canada. Seit 1996 ist er beim Stuttgarter Ballett als Direktor bzw. Intendant im Amt und macht sich dort nicht nur als Förderer junger Tänzer einen geachteten Namen. Auch als Entdecker choreografischer Talente ist er überaus erfolgreich. Marco Goecke, Christian Spuck und Demis Volpi entwickeln sich unter seiner Ägide zu Hauschoreografen.