Rezensionen 17. Mai
Basel: Puccini «Madama Butterfly»
Am 18. Mai, 1., 8., 11., 15., 19. Juni 2019 auf der Großen Bühne
So einer ist zum Fremdschämen. Filmt seine eigene Hochzeitszeremonie mit Selfie-Stick. Überlässt seine Braut sich selbst und tapst selbstverliebt durch die ganze fernöstliche Kulisse. Wie ein Yankee 2.0: Make America great again. Preisfrage – welche Oper? Natürlich «Madama Butterfly». Am Theater Basel hat sich Vasily Barkhatov nach seinen beiden – umjubelten – Auseinandersetzungen mit russischen Opern nun Puccini vorgenommen. Zusammen mit dem italienischen Dirigenten Antonello Allemandi erarbeitete der russische Regisseur eine Mischfassung: in der Hauptsache aus der gängigen von 1906, mit Erweiterungen aus der ersten, beim Publikum durchgefallenen von 1904.
Dadurch erfahren die Figuren eine noch stärkere Charakterisierung oder Aufwertung, etwa Kate Pinkerton oder Konsul Sharpless, allen voran aber Lieutenant B. F. Pinkerton, dessen post-koloniales Gebaren dem moderner westlicher Reisender gar nicht unähnlich ist – der Sextourismus von heute unterscheidet sich von dem um 1900 allenfalls durch das verbesserte technische Equipment … Die Basler Inszenierung scheint von dieser Grundüberlegung auszugehen. Und weil Geld zu keiner Zeit gestunken hat, machen alle mit. Auch die Einheimischen, die den Yankees eine fernöstliche Hollywood-Hochzeit vorgaukeln als Mix aus balinesischen und thailändischen Ritualen (Kostüme: Olga Shaishmelashvili). Alles Japan oder was? Der an landestypischer Kultur denkbar desinteressierte Trottel mit dem Smartphone hat harte Dollars – nur das zählt.
Mit Antiamerikanismus sollte man das nicht verwechseln. Barkhatov reflektiert nur die Gegenwart im Kontext der Vergangenheit. Seine Sympathie gilt der Titelheldin. Cio-Cio-San, verheiratete Mrs. Pinkerton, gibt für ihre Liebe alles auf: Religion und Realitätssinn. Und so hebt – einer der packendsten Momente einer berührenden, in ihren Details oftmals sehr naturalistischen Inszenierung – ihr Haus (Bühne: Zinovy Margolin) nach oben ab. Als Projektion erlebt man zur Verwandlungsmusik vor dem zweiten Teil des Schlussakts Butterflys Utopie: Pinkerton kehrt zurück, um mit dem gemeinsamen Sohn (von dem er ja nichts weiß) zu spielen, um bei ihr zu sein, bevor er wieder den Koffer packt. Die Spielfläche ein Stockwerk tiefer, auf dem Grundriss des Hauses, ist von tiefem Schwarz umgeben. Suzuki, die treue Dienerin, singt vor der aufgehenden Sonne. Für Cio-Cio-San wird sie nie wieder aufgehen.
Was die Regie so schonungslos als Dystopie herausarbeitet, unterstreicht Allemandis handfestes Dirigat. Der Italiener negiert die Sinnlichkeit der Musik keineswegs, etwa wenn er die Solovioline in Franz-Lehár-Manier brillieren lässt, zeigt aber an der Spitze des in allen Positionen vorzüglich besetzten Sinfonieorchesters Basel, wie vielschichtig diese Partitur ist. Näher an Wagner war der Komponist wohl nie –trotzdem entfaltet sich sein lyrisches Melos maximal.
Insbesondere in der Titelpartie: Talise Trevigne spielt und singt die Butterfly mit betörend lyrischem, in den Farben changierendem Sopran, mit subtiler Tongebung und enormer Durchschlagskraft in allen Registern. Otar Jorjikia ist ein famoser Pinkerton mit Metall in der Stimme und geschmeidiger Italianità. Großartig auch Kristina Stanek als Suzuki – kraftvoll, dunkel, obertonreich. Tadellos, mit spürbarer Empathie agiert der lyrische Bariton Domen Križaj als Konsul Sharpless. Karl-Heinz Brandt schenkt dem charakterlosen Goro seinen subtilen Charaktertenor, Andrew Murphy sorgt als Bonzo für archaischen Bassfuror. Michael Clark hat den Theaterchor weitgehend homogen, füllig im Klangvolumen präpariert, auch wenn die Frauenstimmen mitunter eine Spur weniger vibrieren dürften.
Am Ende steht dann ein inszenierter Suizid: Cio-Cio-San filmt die Abschiedsworte an den Sohn mit dem Handy. Butterfly digital …
Alexander Dick