Auch alle Möbel und Requisiten sind echt, Rose hat in Wien eine alte Kutsche gekauft und restaurieren lassen. 198 Kostüme hat er entworfen, das ist nur die erste Besetzung, insgesamt werden an die 600 Kostüme genäht – Ballkleider, Uniformen, Negligés, Kleider für Kaiserinnen und Huren. Es wird eine Ausstattungsorgie, absolut, aber Rose hat inzwischen verstanden, warum das so ist: «In seiner persönlichen Situation interessierte sich MacMillan allein für diese eine krankhafte Figur, diesen kaputten Rudolf. Langsam wird mir immer klarer, warum eine Drehbuchautorin das Libretto geschrieben hat: Diese vielen Bilder und die 200 Kostüme, die Unmengen von Requisiten, das ist im Grunde wie ein großer Filmschwenk. Es ist Atmosphäre im Hintergrund, wie bei einem Hollywoodfilm. Man braucht das alles, diese Uniformen, diesen Aufmarsch, diese Huren, und dann zoomt MacMillan wieder hinein ins Schlafzimmer zu einem dieser genialen Pas de deux. Weil die Mutter Rudolf abweist, kommt es zur Tragödie.» Die heftigen, zum Teil brutalen Pas de deux und die spannende Figur des selbstmörderischen, ständig provozierenden Rudolf müssen lange, statistengefüllte Tableaux aufwiegen. «Márcia hat das mal gesagt, als wir zusammensaßen: Bei Cranko geht es um die Liebe, bei MacMillan geht es um Sex, um Besessenheit. Auch bei ‹Manon›, bei ‹Anastasia›.»
Das Schlimmste an der «Mayerling»-Aufgabe war, dass Kenneth MacMillan nicht mehr lebt. «Ich hatte keinen Ansprechpartner! Ich hatte meinen Mann Max und meinen Assistenten Christian, wir haben uns zwei Jahre lang gegenseitig aufgehetzt und Kontra gegeben ...» So fiel Jürgen Rose, der lange vor den Choreologen und den angereisten Ballettmeistern im Stuttgarter Staatstheater arbeitete, der den Tänzern mit den Kostümen auch ihre Rollen auf den Leib steckte, eine noch viel wichtigere Rolle zu als sonst. Nicht nur erzählte er den Schneidern und Malern die Geschichte zu seinen Entwürfen, zwei Stunden lang stand Rose auch im Ballettsaal und erklärte der Ballettkompanie die Handlung, zeigte Fotos der echten Personen und seine eigenen Entwürfe. Mit Friedemann Vogel sprach er über den Protagonisten, über «diese kaputte Seele» und wie Rudolf die Wut aus der einen Szene in die nächste mitnimmt. Die durchgehende Entwicklung der Figuren ist so wichtig: «Ich hab das vor allem durchs Schauspiel gelernt, dass ich dramaturgisch arbeite, über Figuren und ihre Zustände nachdenke. Das hat mir auch Cranko beigebracht, er war ein starker Dramaturg. Viele Bühnenbildner machen einfach nur tolle Kostüme, denken aber nicht daran, was in der nächsten Szene passiert oder was die Kostüme aus dem Charakter machen. Das war mir immer wichtig, auch weil ich immer mit so starken Partnern gearbeitet habe. Natürlich hatten wir große Auseinandersetzungen, da habe ich viel gelernt.»
Und so baut Jürgen Rose still und heimlich «Mayerling» um: «Ich kann ja nichts ändern. Jeder Schritt, der gemacht ist, kann nur so getanzt werden, jeder Stuhl muss da stehen, wo er in der Londoner Aufführung steht. Ich kann nur die Requisiten ein wenig ändern, auch mit dem Wissen, was man heute, 40 Jahre später, zusätzlich hat.» So lässt er zum Beispiel die pompösen und im Grunde völlig ähnlichen Schlafzimmer, die man bei Georgiadis sieht, jetzt von den jeweiligen Personen erzählen, die dort hausen. Im Gemach von Kaiserin Elisabeth sind die vielen Kleiderpuppen verschwunden, dort hängen jetzt Gemälde all ihrer Lieblingspferde, in den Vasen stehen wilde Wiesenblumen, weil sie nur die liebte. Ihren Körperkult verewigt er in einer Sprossenwand, nur sollte sie die auch benutzen: «Dazu hab ich zu viel mit Rudolf Noelte gearbeitet: Wenn ich so was dastehen habe, dann muss es auch einen Sinn haben.» Also hat er im Vorfeld schon mal die paar Takte Musik herausgelauscht, wo Sissi einen Klimmzug machen könnte. «Die Lady», gemeint ist die Witwe des Choreografen, sei völlig offen für seine Vorschläge. Überhaupt, so erzählt Rose, freue sich Lady Deborah MacMillan über die neue Ausstattung. Vielleicht hat auch sie sich am alten Pomp sattgesehen.
Rudolfs Zimmer wird «nicht irgendein Raum im Schloss», sondern ist vollgestellt mit Büchern, Vögeln und Vogelskeletten – der Kronprinz, so Rose, «war ein hochintelligenter Junge, wissbegierig, belesen, Vogelkundler, der konnte zeichnen. Es gibt von Mary Vetsera einen Tagebucheintrag, wo sie beschreibt, wie sie in seinem Zimmer warten musste mit den Tieren, diesen ausgestopften Vögeln, sie schildert es als sehr beängstigend.» Rudolfs Bett, in der alten Ausstattung mit einem goldenen Baldachin verhängt, ist nun mit einem schwarzen Adler so unheimlich geworden, dass sich die Damen aus den Theaterwerkstätten davor gruseln. Rose erzählt eine Geschichte mit diesem düsteren Bett, will es gerne mit jeder Szene zerwühlter zeigen, genau wie Rudolfs Psyche. So versteht man immer besser, welch großen Unterschied eine Rose-Ausstattung für ein Handlungsballett ausmacht.