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Filme und Serien #2

«Lady Eve»

«The Lady Eve» / «Die Falschspielerin»

Charles Pike (Henry Fonda) hat keine Chance gegen Jean Harrington (Barbara Stanwyck), das ist von Anfang an klar: Genüsslich, ja «liebevoll wie ein Kannibale sich einen Säugling zurüstet» (Walter Benjamin), beobachtet sie den Neuankömmling auf dem Luxusliner diskret mittels eines Taschenspiegels. Hinter dem eigentlich ganz gutaussehenden und definitiv stinkreichen Kerl, er ist der Erbe eines Brauereikönigs, sind alle weiblichen Passagiere unter vierzig her; sie aber arbeitet nicht wie die anderen Ladies mit den traditionellen Waffen einer Frau, mit Wimpernklimpern und Taschentuchfallenlassen, sondern mit roher Gewalt: Sie nimmt sich die Beute, indem sie dem Erben ein Bein stellt und den Darniederliegenden dann anschnauzt, ob er nicht besser aufpassen könne, schleppt ihn sogleich ab in ihre Kabine, verdreht ihm mit Weiblichkeit und Dreistigkeit, mit Parfum und extravaganten Pumps den Kopf, er ist so verwirrt und überfordert, dass er ihr sogar seinen demütigenden Spitznamen «Hopsy» verrät, und damit ist er endgültig verloren.

Das, vielliebe Leserin, ist der clausewitzsche Grundgedanke der Screwball-Comedy – Liebe als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln –, aber das wissen Sie natürlich, und in «The Lady Eve» / «Die Falschspielerin» (1941, Regie und Drehbuch Preston Sturges) wird das Prinzip so schnell und komisch und gnadenlos durchexerziert, dass nicht wenige kluge Leute diesen Film für ebenbürtig mit «Leoparden küsst man nicht» halten; jedenfalls ist Henry Fonda hier mindestens so lächerlich wie Cary Grant dort.

Hopsy ist hübsch, schüchtern, naiv – er ist «das Mädchen», und Jean ist wagemutig, frech, souverän – sie ist «der Mann»; und einen nicht geringen Reiz von Screwball-Komödien macht eben diese Umkehrung, dieses Spielen mit den traditionellen Geschlechterrollen aus.

Das ist erstaunlicherweise auch heute noch komisch, obwohl wir doch viel lässiger mit solchen Rollenzuschreibungen umgehen, mit dem ganzen Genderkram, jedenfalls in unserem Teil der Welt; in Saudi-Arabien, ja sogar in Polen sieht das anders aus. Aber unsere Freibeuterin ist so gerissen und charmant und schlagfertig, dass sie oft genug nicht einmal lügen muss, sondern dreist die Wahrheit sagt, als sie ihn kapert; und dann verliebt sie sich auch noch ein bisschen in den süßen, etwas pompösen Gimpel. Jedenfalls sagt sie ja zu seinem Heiratsantrag, was ihrem Vater (Charles Coburn) überhaupt nicht gefällt. Denn was soll aus ihm werden, wenn sie, wie es der Ganovenehre geziemt, ihrem Verlobten nun beichten muss, aus einer Falschspielerfamilie zu stammen? Muss auch er dann seinen geliebten Beruf an den Nagel hängen und das Ass im Ärmel lassen?!

Aber bevor es dazu kommt, erfährt Hopsy durch seinen misstrauischen Diener (William Demarest, eine wunderbare Knattercharge in fast allen Sturges-Filmen) vom unwürdigen Gewerbe seiner zukünftigen Frau, ist naturgemäß am Boden zerstört, und da er zum Moralisieren und Predigen neigt, will er ihr nicht verzeihen. Was wiederum die eigentlich zerknirschte Jean sehr erbost und einen Racheplan fassen lässt: Als ihre eigene Doppelgängerin «Lady Eve Sidwich» verführt sie den armen Deppen zum zweiten Mal, nun auf dem Landsitz seiner Familie in Connecticut, was sie vornehm-falsch «Conneckticut» ausspricht. Was Gelächter bei den neureichen Amis hervorruft; und gleichzeitig wird angedeutet, dass wir uns in einem Land befinden, das gar nicht wirklich existiert (ja, so subtil ist Preston Sturges!).

Hier nun ergibt sich die Gelegenheit für zeitlos witzige Dialoge, beispielsweise, wenn die Lady Eve mit den Differenzen zwischen britischem und amerikanischem Englisch und den unterschiedlichen Bezeichnungen («lorry» für «truck», «wireless» für «radio») so elegant und komisch spielt, dass man nur bewundernd mit offenem Mund bzw. Ohr zuhören kann. Oder die Szene, in der Hopsy seiner Eve am Ende eines romantischen Ausritts den Heiratsantrag macht, in freier Natur, bei dramatisch untergehender Sonne, das ist so feierlich und erhaben – wenn denn nicht immer sein Pferd den salbadernden Mann anstupste und aus dem Konzept brächte.

Noch herrlicher ist freilich die Szene im Zug, auf der Hochzeitsreise, wenn Eve ihm so nebenbei, kichernd und glucksend, von ihren vielen (natürlich erfundenen) Affären berichtet; den ersten Fehltritt mit Angus, dem Stallburschen, ist er noch gewillt zu vergeben, und er setzt schon zu einer seiner salbungsvollen und gefürchteten Reden an, musikalisch untermalt vom Pilgerchormotiv aus «Tannhäuser»; aber dann kommen weitere Geständnisse, und schließlich flieht er nächtens im Pyjama aus dem Zug und fällt in eine Schlammpfütze, getreu Sturges’ elftem Gebot für erfolgreiche Filme: «Am allerbesten ist es, wenn jemand auf den Hintern fällt» (zweites Gebot: «Ein Bein ist besser als ein Arm»).

Auch in diesem Film geht es natürlich gut aus, ohne irgendeine plausible Auflösung der Probleme, durch einfaches Dekret sozusagen, wie in «Manche mögen’s heiß»: «Nobody’s perfekt» sagt der verliebte Millionär, wenn er erfährt, dass seine Braut ein Mann ist – der Vorhang zu und alle Fragen offen.

«Die Falschspielerin» ist auch in dieser Hinsicht frech und vorbildlich, von dem amerikanischen Philosophen Stanley Cavell, einem wirklichen Filmkenner, ist sie sogar als eine der allerbesten «comedies of remarriage» geadelt worden. Dass ich diesen Film lieben würde, wusste ich schon beim ersten Ansehen, vor vielen Jahren, nämlich als der Amateur-Ophiologe Hopsy (Ophiologen sind Schlangenkundler, aber das wissen Sie wahrscheinlich) ein Buch mit dem Titel «Are Snakes Necessary?» liest – wer so viele komische Einfälle hat und so verschwenderisch damit umgeht wie Preston Sturges, den darf man, den muss man lieben. Probieren Sie’s doch einfach mal aus, ganz unverbindlich, Sie werden begeistert sein.

Kurt Scheel