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Rezensionen 5. April

Foto: Bernd Uhlig/Burgtheater Wien

Wien: Hauptmann «Die Ratten»

Am 8., 13. April, 12., 13. Mai 2019 in der Inszenierung von Andrea Breth im Burgtheater

Trist und leer ist die Welt von Andrea Breth, der großen Schwarzmalerin des Theaters, die am Burgtheater mit Gerhart Hauptmanns Berliner Tragikomödie «Die Ratten» noch einmal zu einem düsteren Endzeitgemälde angesetzt hat. Martin Kušej, der kommenden Herbst als neuer Intendant antritt, hat Breth – wie den meisten Regisseurinnen und Regisseuren, die gerade an dem Haus arbeiten – kein Angebot gemacht. Er möchte, durchaus verständlich, zum Neustart einen radikalen Schnitt setzen. Umso sentimentaler war die Stimmung vor dieser Abschiedsinszenierung zu der Breth erneut ihre grandiose Schauspielerfamilie versammelt hat (Bechtolf, Wokalek, Ofczarek). Seit 1999 hat diese Regisseurin die Burg wesentlich geprägt, «Emilia Galotti» und «Don Carlos, Infant von Spanien» wurden zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Aber warum inszeniert sie nun ausgerechnet Hauptmanns naturalistisches Elendsdrama, das im Berliner Dialekt verfasst ist und auf realen Gerichtsfällen von «Kindesunterschiebung» basiert?

Handlungsort ist eine ehemalige Kaserne nach realem Vorbild, die Ende des 19. Jahrhunderts in Berlin als Wohnhaus fungierte und im Volksmund «Wanzenburg» genannt wurde. Zu ebener Erde und erster Stock: Parallel zur proletarischen Muttertragödie hat Hauptmann eine bürgerliche Komödie um einen eitlen Ex-Theaterintendanten montiert, der all das verkörpert, wogegen der Autor mit seiner naturalistischen Literatur anschreibt. Insofern sind «Die Ratten» ein seltsamer Hybrid, eine beinharte Sozialstudie mit ironischem Theater-Metakommentar, ein Realismus-Pamphlet mit Schmierentheaterelementen.

Breth breitet gleich im ersten Bild das ganze Elend dieses ärmlichen Kosmos aus: Die Drehbühne gleicht einer großen Mülldeponie (Martin Zehetgruber), zu dissonanter Musik laufen alle manisch im Kreis. Das ist fein komponiert und zeigt, dass es in dieser verkommenen Welt keinen Rückzug gibt: Jeder belauscht und belauert jeden. Zwei Riesenratten aus Bronze stehen symbolträchtig in den Papierbergen. Den Berliner Tonfall hat Breth konsequent gestrichen, ebenso das soziale Milieu. Alle leben hier prekär, zwischen dem ehemaligen Theaterdirektor Harro Hassenreuter (Sven-Eric Bechtolf), der auf dem Dachboden seinen Kostümfundus untergebracht hat und Schauspielunterricht gibt, und der Putzfrau John (Johanna Wokalek) ist kein Unterschied. Bechtolf verpasst seiner Figur, bei Hauptmann ein lächerlicher Schmierenkomödiant, tragische Züge, spielt mit feiner Ironie einen Dinosaurier, der weiß, dass er bald aussterben wird.

In der witzigsten Szene dieser dunklen Inszenierung gibt er einem hitzigen Schüler, der Hauptmanns modernen Naturalismus verkörpert, Schauspielunterricht (Christoph Luser spielt ihn als sympathischen Loser). Bechtolf zerkaut die Schiller-Tragödiensätze wie wertvolle Kleinodien, kostet sie noch einmal aus, weil er weiß, dass sie einer untergehenden Epoche angehören. Breth räumt Bechtolfs brüchiger Figur viel Platz ein. Kein Wunder, dass sie sich auf Hassenreuters Seite schlägt: Ihr detailbesessenes, sprachgenaues Theater wirkt schließlich selbst wie ein Dinosaurier.

Die zweite Heroine ist Frau John, die einem lebensmüden polnischen Dienstmädchen (Sarah Viktoria Frick) das Kind abschwatzt und als ihr eigenes ausgibt. Johanna Wokalek spielt sie mit großem erdigen Ernst und erstaunlicher Eleganz, eine Kämpferin um Restwürde in einem verlotterten und versifften Mietshaus. Oliver Stokoswki gibt ihren kraftstrotzenden Ehemann etwas zu eindimensional kraftstrotzend, Nicholas Ofczarek ihren kleinkriminellen Bruder, der das Dienstmädchen ermordet, als zurückgebliebenen Serienkiller aus dem Klischeehandbuch. Das deutsche Fernsehspiel lässt grüßen.

Je länger der zweieinhalbstündige Abend ohne Pause dauert, der durchaus Längen hat, desto mehr Tiefe entwickelt er. Hauptmann wirkt plötzlich wie Horváth. Wurden zu Beginn bei manchen Auftritten noch kurz Schlager der 1930er Jahre angespielt wie ein Zitat aus glücklichen Tagen, die längst vergangen sind, wird es nun tiefschwarz. Gnadenlos, wie Breth die letzten Minuten des Untergangs von Jette John auskostet, wie erbarmungslos, fast schon sadistisch sie die Schlinge zuzieht. Den Tod eines Babys einer Morphinistin und die Ermittlungen, wem es gehört, hat Breth zuvor wie einen Krimi inszeniert, bevor sie nun zum großen Psychodrama und Vernichtungsexzess ansetzt. Gegen Ende dreht sich erneut die Bühne: Diesmal ist sie mit Toten übersät. Auch die in die Enge getriebene Kindesentführerin John hat sich umgebracht, sie lehnt kopfüber über ihrem Kinderwagen. Die Welt ist ein Abgrund, der alle verschlungen hat, ob arm, ob reich. Breths Inszenierung ist ein bitterer Abgesang auf die menschliche Rasse, die wie eine Rattenplage den Planeten bevölkert.

Die stärkste Arbeit von Breth an der Burg war es trotzdem nicht, zu umständlich ist das Stück erzählt, zu überfrachtet als Totenbeschwörung, vor allem, weil Breth all ihre Schauspielerinnen und Schauspieler glänzen lassen möchte und aus jeder Minirolle einen staatstragenden Auftritt macht. Nichtsdestotrotz war das Publikum begeistert, als die Regisseurin während des Schlussapplauses das Mikrofon in die Hand nahm und sich für die Treue seit 1999 bedankte. Der dunkle Stern Breth wird vielen Wienerinnen und Wienern, denen ja nicht nur ein Hang zum Morbiden, sondern auch eine immense Liebe zu ihren Schauspielstars nachgesagt wird, sicher fehlen.

Karin Cerny

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