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Rezensionen 28. Dezember

Düsseldorf: «b.37»

Am 5. Januar im Opernhaus

Ob Donald Trump, Kim Jong-un, Wladimir Putin oder Recep Tayyip Erdogan – Egomanen wie sie machen die Welt zu einem Ort, wo das Recht des Stärkeren, Ausgrenzung und Misstrauen – wenn nicht nackte Angst – regieren. Ein junger Kanadier bietet ihnen künstlerisch die Stirn: Robert Binet. Für das Ballett am Rhein kreierte der 27-jährige Lockenkopf seine «New World» und machte das Düsseldorfer Opernhaus zu einem Ort der Utopie, wo der Mensch des Menschen Freund ist. Eine von drei Uraufführungen im Rahmen des neuen Dreiteilers «b.37». 

Zwei Tänzer sind die ersten Ankömmlinge in der neuen Welt. Noch wirkt die Bühne wie ein unberührtes Terrain. Die beiden plaudern ungezwungen, probieren ihre Körper aus in schönen Balancen. Bald legen sie, rücklings, ihre Nacken liebevoll aneinander. Sie zeigen elegante Hebefiguren, bis der eine sich vertrauensvoll in die Arme des andern fallen lässt. Und sie schauen sich in die Augen, während die Hände ihre Köpfe liebevoll umfassen. Damit wäre eigentlich schon alles gesagt: Liebe deinen Nächsten! Doch Robert Binet erschafft Himmel und Erde in drei Tagen. Ein gewaltiger Akt. 

Flirrende Streicher setzen ein und das – bislang unauffällige – Spiegelrondell aus Türen in der Tiefe der Bühne entfaltet seine Magie: Es glitzert und blendet im schräg einfallenden Licht. Shizuka Hariu, Szenografin und Architektin, spielt trefflich mit den Spiegelbildern der Tänzer. Später wird sich ein ganz besonderes Himmelsgestirn, ein flauschiges Wolkengebilde in Ufo-Form mit kleinen Pflanzen, wie ein schützendes Dach über Binets Genesis senken. 

Das Ensemble bewegt sich in seinen erdfarbenen Ganzkörperanzügen mit Kapuze in einem fantasievoll komponierten, neoklassisch fundierten Bewegungsrausch. Hinzu gesellen sich Wesen mit der Geschmeidigkeit und den Glitzertrikots von Nixen. In ihrem Kosmos bestechen raffinierte Figuren, blitzschnell und präzise getanzt, dichte Pas de deux mit listigen Akzenten. Man denkt an Merce Cunningham und seine polyzentrischen Raumkonstellationen. Aus dem Rahmen fällt eine Frau in einem weißen Schutzanzug, die die Bühne in gebückter Haltung suchend abschreitet – zwischen «Tatort»-Spurensucherin und Schamanin.

Absolut nachvollziehbar, dass Martin Schläpfer von dem Nachwuchstalent fasziniert war, als er ihm in Toronto bei Proben an Canada's National Ballet School, wo Binet auch ausgebildet wurde, zusah. Hier deutet sich an, dass da jemand den zeitgenössischen Tanz weiterdenken möchte – wie der Düsseldorf-Duisburger Chefchoreograf es für sich selbst immer reklamiert hat. Dazu gehört für Binet auch die starre Rollendefinition von Mann und Frau im akademischen Tanz. In seiner Weltordnung gibt es für Männer- und Frauen-Paare ebenso zärtliche Sequenzen wie für Hetero-Pas-de-deux – was jetzt nicht ganz neu ist. Die Geschlechter sind beinahe aufgehoben, ihr Umgang ist völlig problemlos und zugewandt. Gender war gestern.  Obwohl es keine erzählerische Ebene gibt, keinerlei Konfliktpotenzial, gerät man in den Sog dieser so wunderbar bewegten neuen Welt. Sicher, an der Klarheit der Strukturen ließe sich feilen, zu der inneren Ruhe eines Hans van Manen ist es ein weiter Weg. Und doch haben Robert Binets Mentoren, Größen wie Karen Kain, Wayne McGregor oder John Neumeier, Spuren hinterlassen. Als etabliertes Talent der jüngsten Choreografen-Generation hat Binet am National Ballet of Canada, am New York City Ballet, am Royal Ballet London und am San Francisco Ballet gewirkt. 

«New World» ist ein Gesamtkunstwerk aus Choreografie, Ausstattung, aber auch und vor allem der vielschichtigen Musik. «Four Studies» und «Honest Music» für zwei Solo-Violinen und Streichorchester sowie «Quiet Music» für Klavier-Solo des US-Amerikaners Nico Muhly umhüllen und tragen das Werk.Es ist Eröffnung und Glanzpunkt des neuen Düsseldorfer Abends. Natalia Horecnas «The way ever lasting» will mit dem Liebesduett um einen verhinderten Kuss, das mit überdeutlicher Symbolik bebildert wird, nicht recht überzeugen. Ballettdirektor Remus Şucheană überrascht mit «Fantaisies» zu -Bohuslav Martinus «Sinfonie Nr. 6». Wie losgelöst, fließt seine Choreografie in Körper-Kaskaden und Karawanen-Formationen dahin. Die dramatische Musik beantwortet er mit Stammestänzen in folkloreartigen Kos-tümen um einen überdimensionalen Wegweiser – etwas befremdlich. 

Bettina Trouwborst

www.operamrhein.de/de_DE/termin/b-37.15297446