Medien-Tipps
«Schlimme Finger», «Rosetta Mission»
«Schlimme Finger»
«Schlimme Finger» erschien 2015, lange bevor alle Szenen mit dem Schauspieler-Star und zweifachen Oscar-Preisträger Kevin Spacey aus Ridley Scotts schon fertig gedrehten, aber noch unveröffentlichten Film «Alles Geld der Welt» herausgeschnitten und durch nachgedrehte Sequenzen mit Christopher Plummer ersetzt wurden; er spielte den Milliardär Getty, der keinen müden Dollar für seinen entführten Enkel locker machen wollte.
Als Begründung für diese technisch inzwischen leicht mögliche Austreibung wurden die Anschuldigungen von Anthony Rapp angeführt, er sei 1986 im Alter von 14 Jahren vom damals 26-jährigen, noch unbekannten Spacey sexuell belästigt worden. Auch aus der letzten Staffel von «House of Cards» wurde Spacey verbannt, wo er sich als gewiefter Politiker Francis Underwood durch Morde und Intrigen zum US-Präsidenten hocharbeitet. Weiß Gott keine Lichtgestalt, aber ein Publikumsmagnet, der des Zuschauers heimliche Mord- und Betrugsgelüste buckelte wie sonst nur noch Shakespeares Richard III. (den Spacey ebenso brillant verkörperte).
Erst kommt das Fressen, dann die Moral: Spacey gilt nun als Kassengift. Doch argumentiert wird zumeist umgekehrt: moralisch. Und der Künstler ist erledigt wie ein gerichtlich bereits überführter Verbrecher. Im Zweifel für den Ankläger.
«Schlimme Finger» versammelt prominente Beispiele von (teils großen) Künstlern, die tatsächlich (teils große) Verbrecher waren: Diebe wie Jean Genet, Fälscher wie Wolfgang Beltracchi, Betrüger wie Karl May und – erwiesenermaßen – Mörder wie Cellini, Gesualdo, Caravaggio. Es ist eine Galerie von bekannten und weniger bekannten Verfemten – oder verfemten Anerkannten, die jeder, es sind in der Tat nur Männer, ein höchst eigen(willig)es Päckchen artistischer und persönlicher Biographie mit sich schleppt.
Würde man all deren Werke aus der Kunstgeschichte rausschneiden per akklamiertem Scherbengericht, wie es derzeit oft allzu rasch und jenseits von Rechtsstaatsprinzipien stattfindet, dann sähe zumindest die europäische Kultur anders, ärmer aus. Selbst große Kunst darf und wird den Künstler, wenn er denn ein schließlich überführter und verurteilter Verbrecher ist, nicht vor dem Recht schützen. Aber zu Recht muss man große Kunstwerke vor der Verbannung aus dem Kulturkanon schützen, die einfach nur deshalb stattfindet, weil deren Schöpfer im Privaten keine biederen und rechtschaffenen oder gar, im schlimmsten Falle, kriminelle Menschen waren.
«Schlimme Finger» ist eine lehrreiche Lektüre – und imprägniert gegen die Verführung zum mainstreamig erigierten moralischen Zeigefinger. Wer den eilfertig und dauernd reckt, müsste Kevin Spacey konsequenterweise auch aus «American Beauty» löschen – und was bliebe dann von diesem Film übrig?
Michael Merschmeier
Rolf-Bernhard Essig und Gudrun Schury „Schlimme Finger. Eine Kriminalgeschichte der Künste von Villon bis Beltracchi“. C.H. Beck Verlag, München 2015
The Rosetta Mission vol. 1
Drei Minuten lang tanzen Anastasia Diga und Vassia Paspali auf dem Kopf. Ihre vier Schulterblätter rotieren gekonnt parallel. Die Kamera von Vasilis Paspalis erfasst jede Mikrobewegung. Die Halsmuskeln zucken gemeinsam. Sie müssen eine unerhörte Belastung der beiden Körper aushalten. Man denkt sich eine Meisterleistung der Balance. Alle Last scheint allein auf dem Trapezmuskel zu ruhen. Wer Genickbruch oder Schlimmeres fürchtet, sieht bald, wie die beiden Griechinnen sich vorsichtig auf ihren gespreizten Fingern stützen. Die Musik von Andreas Lemis beruhigt so wie die entspannten Gesichter irritieren. Nein, dies ist keine yogische, den Kopf überspreizende Matsyasana-Haltung. Schaut den Clip einfach noch einmal an und dreht den Bildschirm auf den Kopf.
Arnd Wesemann