Rezensionen 21. Dezember
Kassel: Wagner «Das Rheingold»
Am 25. Dezember, 12. Januar, 10. Februar im Opernhaus
Alles fängt schon vor dem Anfang an. Ein herrischer Herr mit Leuchtspeer schreitet aus dem Hintergrund, vorne lauert angriffig eine proletenhafte Gestalt. Fast eine Minute starren sie einander aus der Distanz stumm an, diese Verkörperungen von Macht und Ohnmacht, Licht und Finsternis, bevor das tiefe Es beginnt, dieses (hier offenbar als trügerisch entlarvte) Symbol unentzweiten Naturwaltens. Nein, der Antagonismus ist von Ewigkeit: Ahriman und Ormuzd, Gott und Teufel, Wotan und Alberich.
Ein bemerkenswerter Auftakt für Markus Dietz’ Kasseler «Rheingold» und das für die nächsten zwei Spielzeiten geplante «Ring»-Projekt. Viele weitere Details dieses «Vorabends» zeugen von Ideenreichtum und profunder Beschäftigung mit gewöhnlich nicht erzähltem Stoffhintergrund. So am Ende des Stücks: Statt des feierlichen Einmarschs in die Burg (zum Des-Dur-Dreiklangsmotiv) sieht man Wotan nach vorne kommen und sich mit Erda zusammentun. Eine für den Fortgang der Geschichte wesentliche Liaison, szenisch aber – der kluge Dramaturg Wagner wusste es – nicht unbedingt notwendig. Hingegen leuchtet die inhaltliche Variante stärker ein, dass die Rheintöchter von Alberich nach Nibelheim gebracht und versklavt werden; so rächen sie sich später, indem sie an seiner Knebelung mithelfen, auch im ganzen Schlussbild anwesend sind.
Etwas undurchsichtiger bleibt die Funktion des riesigen Bewegungschors (fast einer Hundertschaft von Männern und Frauen, meist im weißen Sportdress). Zu Anfang wimmelt die Menge, gleichsam als wildwüchsiges pflanzliches Geschlinge, lasziv auf dem Rheingrund; in Nibelheim hat sie zu klopfen, und in der vierten Szene imaginiert sie leiblich den Goldschatz, der Freia verdecken soll. Am gelungensten schien dieser Großeinsatz bei Alberichs Fluch, wenn alle in größter Bestürzung an der Rampe stehen und dem absehbaren Weltübel entgegenbangen. Der Regisseur mag bedauert haben, dass im «Ring» Choristen so wenig zu tun haben, alles auf Einzelfiguren abgestimmt ist. Die produktive «Korrektur» der Wagner’schen Enthaltsamkeit, sollte sie sich auf das Ganze ausdehnen, dürfte in Kassel noch manchen szenografischen Kraftakt hervorrufen.
«Rheingold» ist halb mythologisches Welttheater, halb Boulevardstück, und beidem wurde die Inszenierung ziemlich gut gerecht (bis vielleicht auf die allzu spendabel gereichten Filmeinlagen, etwa bei Alberichs Verwandlungskünsten). Ein dicker Pluspunkt waren die aparten Bühnenbilder von Ines Nadler, virtuos mit auf- und abfahrenden Ebenen jonglierend. Die Götterburg zum Beispiel wurde durch ein bühnenfüllendes Laser-«W» (W wie Walhall) markiert.
Bei der Personenregie herrschte schöne Lebhaftigkeit. Nicht ganz schlackenlos, insgesamt aber respektabel die sängerische Besetzung. Thomas Gazheli (leider wenig textverständlich) führte seinen Alberich-Bariton zu imponierender Verausgabung. Bjarni Thor Kristinsson war, mit markantem Lenin-Profil, ein etwas zu sehr zum Tumben hingelenkter Wotan mit schwerer, ungefüger Stimme. Auffällig klar und mächtig der Donner von Hansung Yoo. Solide die Göttinnen Fricka und Freia (Ulrike Schneider, Jaclyn Bermudez). Die nicht durch Größe herausgehobenen Riesen (Fasolts erotisches Interesse an Freia spielte man genüsslich aus) wurden von Marc-Olivier Oetterli und Rúni Brattaberg ansprechend intoniert. Vielbeschäftigt, aber gutgelaunt und -disponiert das Rheintöchterterzett von Elizabeth Bailey, Marie-Luise Dreßen und Marta Herman. Lockend im langen Weißen: Edna Prochnik als elegante Erda. Überragend der überschlanke, wendige, mit Witz und Schärfe seinen federleichten Charaktertenor vorführende Loge von Lothar Odinius – selbstverständlich ein bebrillter Intellektueller im nur dezent «angefeuerten» Existentialisten-Habit. GMD Francesco Angelico nahm sich Zeit (mehr als 150 Minuten) für einen Duktus, der, ohne Verklumpungen, die Orchestermelodik und das sorgfältig darin eingewobene Motivgeflecht bei aller Behaglichkeit stets flüssig hielt. Irritierend jedoch, dass die Hammerschläge des schuftenden Nibelungenheeres fast wie Glöckchen klangen.
Hans-Klaus Jungheinrich
http://www.staatstheater-kassel.de/musiktheater/premieren/das-rheingold/