Warum sollte jemand Countertenor werden wollen, der eigentlich nicht die Begabung dafür hat?
Der Countergesang ist ein bisschen in Mode. Es gibt immer noch einen Hauch von Zirkus um diese Branche, der manche anzieht. Ich dagegen finde den Zirkus höchst widerlich. Denn er beruht auf der Idee, dass wir am Ende nicht so echt sind wie die anderen Stimmfächer.
Sie meinen die Sache mit dem Mann, der mit einer hohen Stimme singt?
Man muss sich nur ansehen, wie Journalisten über Countertenöre schreiben, auch da, wo sie es gut meinen. Sie werden ständig miteinander verglichen. Das kommt in anderen Stimmfächern viel seltener vor. Kürzlich ist meine neue CD «Cantata» erschienen. Gleich die erste Kritik, die ich las, bescheinigte mir, meine Stimme sei offener und freier als die aller anderen Countertenöre. Ich bin natürlich dankbar für das Lob. Aber ich finde, wenn Countertenöre als Künstler wirklich wahrgenommen werden, sollte es eher um das individuelle Schaffen gehen.
Hängen diese Vergleiche nicht auch damit zusammen, dass Countertenöre häufig in Barockopern auftreten, wo das Element des sängerischen Hahnenkampfs besonders ausgeprägt ist?
Möglich, aber Barockdirigenten werden ja auch nicht in der gleichen Liga gehandelt wie die «richtigen» Dirigenten mit dem Schwerpunkt im 19. Jahrhundert. Natürlich können manche der bisherigen Barockdirigenten körperlich nicht richtig dirigieren, aber Dirigieren bedeutet auch mehr als nur reine Schlagtechnik. Zum Beispiel braucht es für Barockmusik mehr Hintergrundwissen und Fantasie. Ich habe selbst gerade wieder mit dem Dirigieren begonnen, nicht hauptsächlich Barockrepertoire, sondern vor allem Mozart und Haydn. Da werde ich ständig darauf angesprochen, ich hätte doch zuvor «nur» Barockmusik gemacht.
Sie waren unter anderem Gastdirigent bei der Dresdner Philharmonie, im kommenden Jahr stehen die Kammerakademie Potsdam und das hr-Sinfonieorchester auf dem Dirigierplan.
Ich habe schon als Student ein eigenes kleines Orchester gegründet. Daneben habe ich Cello studiert und das ganze romantische Repertoire für dieses Instrument gespielt, unter anderem eine Saison lang im San Francisco Symphony Orchestra. Aber damals habe ich mich entschieden, wieder Sänger zu werden, weil man dafür jung sein muss. Ich habe mir überlegt, dass ich zum Dirigieren zurückkehren kann, wenn die Zeit reif dafür ist. Jetzt ist sie es.
Wenn Sänger dirigieren oder inszenieren, ist das oft eine Form der Altersversicherung.
(lacht) Glauben Sie mir: Ich bin mit meinem Geld sehr gut umgegangen, deswegen muss ich das echt nicht machen. Außerdem will ich nie in Pension gehen – ich liebe die Musik zu sehr! Für mich ist es einfach ein natürlicher Schritt. Es fühlt sich wie eine Rückkehr in ein Repertoire an, das ich seit 20 Jahren vernachlässigt habe. Ich sehne mich nach Brahms und Rachmaninow.