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In Hut und Mantel

Aberglaube im Theater #3

Um Kostüme ranken sich allerlei Aberglauben. Vor der Premiere sollen sie nicht gewaschen werden, denn das bringt Unglück. Einen fehlenden Knopf darf man nicht am Körper eines Schauspielers annähen, sonst bekommt er Seitenstechen. Pfauenfedern provozieren den bösen Blick und werden von Ausstattern daher gemieden. Und TOI TOI TOI wird erst gewünscht, wenn die Beteiligten im Kostüm sind. Doch vor allem ein Aberglaube wurde unbemerkt zur Grundsatzregel auf deutschen Bühnen: Trage niemals deinen eigenen Hut und Mantel! Da ich in 12 Jahren am Theater noch nie davon gehört hatte, fragte ich bei Theatermenschen auf dem Frankfurter Autorenforum nach, was es damit auf sich habe:

Halten wir fest: Privatklamotten auf der Bühne bringen Unglück. Nichts ist daher wichtiger als ein ordentliches Kostüm – und das am besten schon in der Probenphase. Denn abergläubische Schauspieler tragen am liebsten ihre Originalkostüme, in denen sie Proben und Premiere bestanden und ihre Figur entwickelt haben. Über Verschleißerscheinungen nach der 100. Vorstellungen wird großzügig hinweggesehen. Entgegen allen postdramatischen Tendenzen ist die Grenze zwischen Privatperson und Theaterfigur damit die wohl am besten geschützte – und das Kostüm eines der meistunterschätzten Mittel, das den Schauspieler zum Stellvertreter eines anderen macht.

Dass dabei gerade Hut und Mantel von Bedeutung sind, könnte auf ihre Symbolhaftigkeit im Mittelalter zurückgehen. Damals waren sie nicht nur offizielle Rang- und Standeszeichen; der Hut vertrat durch die Nähe zum Kopf gleich die ganze Person. Konnte ein Fürst oder Lehnsherr bei der Rechtsprechung nicht selbst vor Ort sein, genügte die Anwesenheit seines Hutes, um das Urteil zu legitimieren. Auch war es Pflicht, seinen Hut vor Höherstehenden zu ziehen, um ihnen Respekt zu zollen. Der Mantel wurde in bedeutungsschwangeren Zeremonien entprivatisiert und in Adoptionsritualen und Eheschließungen den Anvertrauten als Zeichen des Schutzes um die Schultern gelegt. Auch Kleriker trugen den Mantel (mittellateinisch: cappa; man bemerke die überaus interessante Verwechslungsgefahr mit dem Hut) als formelles Gewand während des Gottesdienstes, wodurch er sich unversehens als eine Art Kostümteil der liturgischen Feier etablierte. Und wie die Standardwerke der Theatergeschichte zeigen, wurde aus eben dieser Liturgie das dramatische Spiel überhaupt erst geboren.

Womit wir wieder beim Theater wären. Seinen sakralen Ursprung kann es bis heute nicht ganz verleugnen und so mancher Theaterkünstler behält eine gewisse Ehrfurcht vor der Aura seiner Arbeitsstätte. Immerhin wohnt dem Theater eine ureigene Blasphemie inne, insofern es Welten produziert, welche die herrschende Realität infrage stellen und transzendieren können. Die Arbeit des Schauspielers besteht also darin, in Konkurrenz zum allmächtigen Schöpfer zu treten, und es scheint durchaus sinnvoll, das im Schutz einer Rolle und nicht als Privatperson zu tun. Wer hier auf Nummer sicher gehen will, stiefelt nicht in privater Alltagskleidung über die Bühne, isst und trinkt nicht im Theaterraum und zieht demütig seinen Hut vor demjenigen, der über ihm steht. Auch wenn es sich dabei um den Bühnentechniker auf dem Schnürboden handelt.

Und noch eine andere Erklärung will ich nicht vorenthalten, die das Jahrbuch der „Deutschen Oper für Freunde des Musiktheaters“ von 1996 bietet: Wurden früher fristlose Kündigungen ausgesprochen, kam die Theaterleitung dafür in Hut und Mantel auf die Bühne. Wer sich diese Symbole der Macht zu eigen macht, will's wissen. Es sei sich also ein jeder Schauspieler der Provokation bewusst, wenn er in seinem Hut und Mantel auf die Bühne stolziert. Denn die Theatergeister sind zur Stelle, um es Kündigungen hageln zu lassen – inklusive der eigenen.

Sina Katharina Flubacher