Wenn Sie die Geschichte zweier glücklicher Liebender schreiben, so wählen Sie als Schauplatz die Ufer des Comer Sees! Ich kenne sonst keine so offensichtlich vom Himmel gesegnete Landschaft, keine, in der der Zauber eines liebeerfüllten Lebens natürlicher erscheinen könnte.» Dies schrieb Franz Liszt am 20. September 1837 in Bellagio, der «Perle des Comer Sees», wie der Ort sich heute stolz nennt. Er war nicht der erste, der dem Zauber des von hohen Gipfeln umfangenen Wassers verfiel. Schon Plinius der Jüngere erbaute sich dort, wo die drei Arme des Y-förmigen Sees sich treffen, auf jenem Vorgebirge, das einen atemberaubenden Blick in den nördlich auf schneebedeckte 2000er zuführenden Seearm gewährt, seine «Villa Tragoedia». Shelley fand das Panorama schöner als alles, was er bislang gesehen; der weitgereiste Stendhal schwärmte nicht minder; und Flaubert wollte in dieser «Shakespeare’schen Landschaft» am liebsten gleich tot umfallen («on voudrait vivre ici et y mourir»).
Skandal auf Reisen
Franz Liszt und die Gräfin d'Agoult
Bis Ende November bleiben Liszt und Marie in Bellagio, dann siedeln sie nach Como über, wo am Heiligabend Cosima, spätere von Bülow und Wagner, zur Welt kommt. Kaum hat Marie sich erholt, setzen die beiden, das Kind bleibt bei einer Amme, ihr Reiseleben fort, das sie kreuz und quer durch Norditalien führt. Man bewundert Natur und Kunst, ab und zu gibt Liszt Konzerte, «um das Handwerk nicht ganz zu verlernen». Doch es kommt zu Spannungen. Wo immer Liszt auftaucht, ist er umschwärmt, und Marie überkommt die Eifersucht. Dass das Verhältnis von Anfang an nicht austariert war, deutet eine Notiz der Sand an, als Liszt und Marie 1837 wieder mal in ihrem Schloss Nohant logieren: «Glücklicher Mann, von einer schönen, großmütigen, intelligenten und keuschen Frau geliebt. Was fehlt Dir noch, Undankbarer! Ach, würde ich so geliebt...!» Und Mitte 1838, als Liszt zu Konzerten in Wien unterwegs ist, schreibt ihm Marie: «Ich liebe Sie unermesslich ... Ein Teil Ihres Herzens bleibt bei mir unbefriedigt. Meine Liebe zehrt Sie auf ... Jetzt dauert es schon fünf Jahre, vielleicht ist das genug. Lassen Sie mich meiner Wege gehen. Wenn Sie mich rufen, werde ich zurückkommen.»
Im Mai 1839 wird in Rom ihr drittes Kind, Daniel, geboren, dann trennen sich beider Wege. Es ist ein Abschied im Guten, den sie mit achtungsvollen Briefen besiegeln. «Wie könnte ich sehen, wie diese beiden so schönen und so erfüllten Jahre sich aus meinem Leben lösen, ohne ihnen nachzutrauern? Ach mein lieber Franz!», seufzt sie aus Genua. Und der schreibt zeitgleich aus Venedig: «Hier reden wieder alle Dinge, das Meer und der Himmel, Sankt Marco und die Gondeln, von Ihnen und wiederholen Ihren geliebten Namen.» Marie sammelt ihre Kinder bei den Kinderfrauen ein und nimmt sie mit nach Paris, für Liszt brechen acht Reisejahre als Europas führender Virtuose an. Das Nachspiel ist bitter. Ein Jahr nach der Trennung kommt Liszt wieder nach Paris. Marie und die Kinder begleiten ihn nach England und ins Rheinland, die nächsten drei Sommer verbringt man gemeinsam auf der Rheininsel Nonnenwerth südlich von Bonn. Doch Liszt genießt die Freiheit, wo Marie noch eine gemeinsame Zukunft erträumt.
Als 1844 Gerüchte von einer Affäre zwischen Liszt und der Tänzerin Lola Montez kursieren, bricht die Gräfin endgültig mit ihm. Ihren Frust schreibt sie sich mit einem Roman, Nélida, von der Seele, doch den Racheakt nimmt ihr Liszt nicht krumm. Der Kontakt bleibt freundschaftlich. Böse wird Liszt erst, als Marie 1866 eine Neuauflage dieses aus seiner Sicht verlogenen und «albernen» Machwerks herausgibt. Liszt beschließt sich von falschem «Sentimentalismus» zu befreien, und als die Gräfin 1876 stirbt, findet er nur bittere Worte: «Madame d’Agoult hatte im höchsten Maße eine Neigung, ja eine Leidenschaft für das Falsche – ausgenommen in gewissen Augenblicken der Verzückung, an die sich zu erinnern sie später nicht mehr ertrug.»
Da hat Liszt bereits seine dritte lange Beziehung hinter sich und seinen Frieden mit der Welt gemacht. 13 Jahre hatte er mit der Fürstin Wittgenstein in Weimar zusammengelebt und gehofft, dass der Vatikan die Ehe der gläubigen Katholikin annulliere. Stunden vor der Hochzeit in Rom kam urplötzlich die erneute Verschiebung. Das Paar akzeptierte es als Schicksal. Die Fürstin wandte sich der Theologie zu, Liszt religiösen Werken – und wurde Abbé. Doch sie blieben einander noch 25 Jahre innig verbunden, er machte sie zu einer Universalerbin. Ein Happy End, das der so spektakulären Verbindung mit Marie Gräfin d’Agoult nicht vergönnt war – trotz jener romantischen Monate am Comer See, wo der Mensch, so Liszt, «lieben, vergessen und genießen kann».
Text und Hintergrundbild (Bellaggio am Comer See): Arnt Cobbers